Liegt dem phantastischen Zeug, das unser Gehirn nachts produziert, irgendein Sinn zugrunde? In grauer Vorzeit – als sich die Menschheit noch in der magischen Phase befand – glaubte man so etwas.
Mal abgesehen von Personen wie Cäsar, der zu intelligent und nüchtern für derartige Albernheiten war und der deshalb nicht auf seine Frau hörte, die ihn bat, zu Hause zu bleiben: Sie hatte geträumt, dass man ihn ermorden wollte. Er ging in aller Ruhe hin und ließ sich ermorden.
Ich möchte wetten, dass Cäsar im Jenseits stur die Ansicht vertritt, Calpurnia habe diese Träume bloß gehabt, weil ja die bösen Absichten der Senatoren bereits deutlich in der Luft lagen – und überhaupt wäre das alles nur Zufall gewesen.
So sind solche Leute.
Ich will deshalb nicht von den erstaunlichen Erlebnissen erzählen, die ich mit zukunftsweisenden Träumen hatte. (Mir hat gerade kürzlich jemand erklären können, dass ich das alles rückwirkend zurechtinterpretiert oder falsch erinnert habe.)
Ich besitze jedoch die merkwürdige Fähigkeit – ob Fluch oder Segen – manchmal die Träume oder, während ich selbst träume, die Gedanken anderer Geschöpfe aufzufangen. Das ist ohne Zweifel indiskret, aber ich kann nichts dafür. Ich mache das ja nicht mit Absicht und ich bin auch nicht in der Lage, Cookies anzubieten.
Selbstverständlich träumen viele Tiere. Spinnen oder Borkenkäfer auch? Keine Ahnung. Soviel ich weiß, schlafen Hühner, viele andere Vögel und Delphine sowie weitere Meeresbewohner nur mit einer Gehirnhäfte – haben die halbe Träume?
Wer einen Hund besitzt und nicht völlig vernagelt ist, der weiß so ungefähr, was Hunde im Schlaf erleben. Es ist nicht schwer zu deuten. Sie zucken mit Beinen und Pfoten, winseln oder bellen mit geschlossener Schnauze, was sehr lustig aussieht.
An einem warmen Sommernachmittag vor vielen Jahren schlief ich ein wenig und hatte einen sehr merkwürdigen Traum. Ich lief barfuß recht schnell in stark gebückter Haltung durch ganz hohes Gras, hoch wie ein Maisfeld. Ich schnüffelte, während ich lief, auf der Erde und an den Stängeln der Pflanzen. Ich glaubte im Traum sehr viele unterschiedliche Gerüche superdeutlich wahrzunehmen und ich hörte jeden Ton gigantisch laut, das Geräusch meiner Schritte auf der Erde und das Rascheln der Pflanzen über meinem Kopf.
Das war der ganze Traum.
Als ich aufwachte, merkte ich, dass ich Stirn an Stirn mit meinem schlafenden Hund lag. Ich war sofort überzeugt davon, seinen Traum aufgefangen zu haben. Bestätigen konnte er mir das nicht, und ich kann es auch nicht beweisen.
Aber! An einem Sonntagmorgen vor vielen Jahren, als ich noch bei meinem Eltern wohnte, träumte ich folgendes: Ich sah meine Mutter an einem großen Gewässer entlanggehen, zögernd und nachdenklich. Ich fühlte beunruhigt, dass sie sich dort hineinstürzen wollte! Sie sah übrigens jünger aus, als sie aktuell war.
Da kam ein Mann angelaufen, ein brünetter Typ (Orientale?), zog sie vom Ufer fort, redete auf sie ein. Eine Weile ließ sie sich ablenken, doch dann strebte sie wieder auf das Wasser zu, um hineinzuspringen. Erneut hielt er sie fest und versuchte, das zu verhindern, indem er sie in ein Gespräch verwickelte. So ging das hin und her – dann wachte ich auf.
Beim Frühstück erzählte ich meiner Mutter diesen merkwürdigen Traum. Sie machte ganz große Augen und erklärte, dass sie an diesem Morgen lange wach im Bett gelegen hatte. Eigentlich wollte sie aufstehen und vor dem Frühstück noch ein Bad nehmen (ganz unüblicherweise), doch dann formulierte sie im Kopf eine Antwort auf den letzten Brief ihres Jugendfreundes aus Ägypten. So hatte sie eine ganze Weile dagelegen und zwischen den Impulsen gependelt, in die Badewanne zu steigen – oder ihren Brief weiter zu entwerfen.
Ich hatte zwar nicht ihren Traum aufgefangen, aber in meinem eigenen Traum ihre Gedanken umgesetzt: das Wasser oder Bad, das Gespräch mit dem dunkelhäutigen Mann. Ich fand immer, was wir da erlebt haben, erklärt eine Menge über die Symbolsprache von Träumen; offenbar wird zum Teil ganz treuherzig ein Begriff in das passende Bild verwandelt.
Cäsar würde jetzt erklären, dass meine Mutter bestimmt irgendwann am Abend schon erwähnt hätte, dass sie ausnahmsweise vor dem Frühstück baden wollte und sicher auch von ihrem Briefwechsel sprach; wir konnten uns nur beide nicht mehr daran erinnern.
Manchmal sind auch große Männer ziemlich dämlich. Es gibt Dinge, die nicht notwendig mystisch oder spirituell sein müssen, nur, weil wir noch nicht in der Lage sind, sie wissenschaftlich zu beweisen.
Glücksfaktor: Ich träume häufig so angenehm, dass ich tagsüber Heimweh danach verspüre …