Keine Angst, mein Sohn will nur spielen …


Und man kann sagen, daran hat er sich konsequent gehalten. Hat sein Geld kaum je mit etwas Anderem verdient – als Schauspieler, als wandelnde Werbefigur, als Spiele-Erfinder, als Schach-Moderator. 

Es gab immer mal wieder Personen, die sich über diese Art, die Welt zu nehmen, Sorgen machten. Wie soll denn jemand, der nur herumtänzelt, jemals auf einen  grünen Zweig kommen und die erforderliche wirtschaftliche Sicherheit erringen? Das Leben, meinen sie beunruhigt, darf doch kein Spiel sein! 

Ist das so? Für manche scheint es eine fortdauernde Tragödie zu bedeuten, für andere eine Art Haftanstalt mit Ausgang. Ein Mensch muss ganz viel leisten und liefern, auch unbedingt das, wozu er eigentlich überhaupt keine Lust hat. Das ist gerade schrecklich aktuell und nennt sich  ‚die Komfortzone verlassen‘. Wer das nicht tut, macht angeblich was falsch.

Arne ist ein Spieler. Nein, nein, kein süchtiger Zocker, nicht so was. Aber das, was er am allerliebsten tut, das, was ihn glücklich macht, ist Spielen.

Er begriff als sehr kleines Kind sofort mühelos die Regeln jedes Gesellschaftsspiels, konnte sie sich merken – und gewann. Während mir ein Kartenspiel schon mal runterfiel, hielt er einen Packen großer Karten in seinen kleinen Händen und mischte sie souverän. 

Arne liebte es, sich Spiele selbst auszudenken. Als winzigkleiner Drops malte er gern verschlungene  Wege, nummerierte sie in Kästchen, die erwürfelt werden mussten und erfand Spielregeln – immer wieder neu, unermüdlich. 

In seine Würfel war die 6 fast programmiert; zur Geschicklichkeit gesellte sich das Spielerglück. Als wir gemeinsam alleinerziehend, auf Kreta einen Ferienclub besuchten, gewann mein siebenjähriger Sohn das Bingo. Er erhielt eine Riesenanzahl von roten und schwarzen Plastikperlen, die man ineinandersteckten konnte, die Währung im Club, und trug eine Woche lang mehrere Plastikketten um den Hals wie ein Hawaiianer seine Blumengirlanden. Ein feiner Zuwachs für das Sparschwein, als es vor Abreise in echtes Geld eingetauscht wurde.

Es gab immer mal Mitspieler, die ihm dieses Glück verübelten. Meine Mama, eine sauschlechte Verliererin, mochte ihm nie abkaufen, dass seine Würfel ihm derart zu Diensten waren und stets das Ergebnis lieferten, das er gerade benötigte.

Ich höre noch ihre beleidigte Stimme, wenn ich in der Küche oder am Schreibtisch beschäftigt war, während die beiden am Esstisch unter der Hängelampe saßen: „Arne schummelt schon wieder!“

Ich rief dann ziemlich ärgerlich zurück: „Er schummelt nicht!“ – aber sie konnte sich das nicht vorstellen. Schließlich fing er, etwa ein Jahr später, mit dem Schummeln an: Er ließ nun seine Omi in vernünftiger Frequenz gewinnen. Sie war sehr zufrieden damit, dass er ‚endlich ehrlich‘ spielte. Und Arne war immer ein gelassener Verlierer, keineswegs erpicht darauf, unbedingt Sieger zu sein.

Das halte ich übrigens für eine ungewöhnliche Zutat bei jemandem, dem Spielen so wichtig ist. In den Genen hätte es ihm schon sitzen können. Es gab in seiner – sehr zahlreichen – väterlichen Familie durchaus Personen, die den roten Mord in den Augen bekamen, wenn es darum ging, im Skat der König zu werden oder alle Mensch-ärgere-dich-nicht-Männchen komplett zuerst in die Garage zu scheuchen.

Schach brachte ich ihm bei, als er sechs Jahre alt war – und gewann nach wenigen Monaten nie wieder ein Spiel gegen ihn. Einige Jahre später verbrachte er gern seine Freizeit in einem Schachclub  und gewann auch Preise, etwa beim Blitzschach.

Selbstverständlich spielte Arne hervorragend Fußball – als ziemlich kleiner Junge eine Weile beim HSV – oder Volleyball und überhaupt jede Art von Ballspiel.

Er liebte Rollenspiele, er machte im Grunde am liebsten alles zu einem Spiel.

Und ich ging sehr früh dazu über, ihn durch Spielen zu erziehen. Das war ungeheuer effektiv. Als mein kleiner Junge ungefähr fünf Jahre alt war, gewöhnte er sich das Nagelkauen an. Sein Vater klappste ihm auf die Finger, wenn er es sah. Die Omi (meine Mama war immer bedachte auf äußere Werte) warnte ihn, er würde ganz hässliche Nägel bekommen, die zum Schluß auch gar nicht mehr länger wachsen könnten. 

Ich erfand das ‚Nägel-nicht-mehr-kauen-mit-Fürdich-Spiel‘.

Was ist ein Fürdich?

Wenn Klienten seines Vaters oder andere Bekannte uns besuchten, dann brachten sie unserem Kind meistens etwas mit, Spielzeug, etwas zu Naschen. Sie reichten es dem Kleinen, er tippte sich  strahlend mit dem Finger auf die Brust und fragte: „Für mich?“ – und erhielt die Antwort: „Ja, das ist  für dich!“

Ich besorgte also zehn schöne kleine Fürdichs. Mindestens fünf  Modellautos, die er sehr liebte, aber auch etwas wie einen Stift mit vielen Farben, einen Anspitzer, der ein grünes Krokodil war und so weiter. Ich verpackte jedes sehr hübsch, was ihnen reizvoll unterschiedliches Format gab und Überraschungen versprach. Alle zehn Fürdichs kamen oben auf Arnes Kommode  – und das Spiel, auf zehn Wochen angelegt, ging los.

In der ersten Woche klebte ich ein Pflaster um sein rechtes Däumchen. Die Spielregel lautete: Arne durfte ungehindert an den neun anderen Fingernägeln kauen. Sollte jedoch das Pflaster vom Daumen abgehen, musste er das sofort melden, um ein neues zu erhalten und durfte auf keinen Fall das kleineste Stück Nagel davon abbeißen.

Das funktionierte gut, Arne konnte sich ein Fürdich aussuchen. Mit dem Anfang der zweiten Woche war dem beschützten Daumen ein gutes Stück Nagel gewachsen und wurde glatt gefeilt. Nun erhielt der Zeigefinger ein Pflaster und die Regel hieß: Acht Nägel blieben zum Kauen übrig. Weder der heile Daumen noch der umklebte Zeigefinger durften angebissen werden.

Ich glaube, das Spiel dauerte keine zehn Wochen. Nach sieben oder acht heilen, gerade gefeilten Nägeln hatte sich die Angewohnheit beruhigt. Arne erhielt die letzten Fürdichs und bekam in Zukunft  einmal in der Woche seine Nägel ein wenig gefeilt. Er hat bis heute schöngeformte Nägel und nie wieder dran gekaut.

Warum soll das Leben kein Spiel sein, solange es funktioniert?

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Söhnchen!

 

 

 

 

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