Irgendwann Mitte der 80er-Jahre erkundigte meine Mutter sich bei mir: „Geht es bei diesem Lied um eine Kirschen-Verkäuferin? Du achtest doch immer auf Texte!“
Sie meinte ‚Cheri, Cheri Lady‘, damals weltweit ein großer Hit von Modern Talking. Nein, sie hatte eigentlich einen wirklich guten Geschmack. Ihr gefiel auch keineswegs der Song. Ihr gefiel nur Thomas Anders, der scheue Teil des Duos, kleiner als Dieter Bohlen oder Ehefrau Nora, jedoch wunderschön, mit langen schwarzen Locken und sprechenden dunklen Augen. Wahrscheinlich kam man außer mit den Augen neben Bohlen nicht viel zu Worte. Meine Mutter liebte Männer mit langem Haar womöglich noch mehr, als ich das tue; und das will was heißen.
Ich antwortete damals: „Nein, keine Kirschen. Soviel ich weiß, irgendwas mit ‚gib mir dein Herz, ich geb dir mein Herz‘. Das heißt nicht Cherry, sondern Chérie, Liebling, auf französisch.“
„Das wird aber anders betont?“, widersprach meine Mutter sehr zu Recht. Immerhin stimmten wir überein, dass Thomas Anders – ein Boy aus Rheinland-Pfalz übrigens – zwar süß aussah mit seiner Sonnenbank-Bräune und dem NORA-Schild um die Gurgel. dass ‚Cheri, Cheri Lady‘ indessen ein selten dämliches Plastiklied war (das Millionen einbrachte). Einfallslos, öde, trivial. Igitt.
Und jetzt fragt mich ausgerechnet Marcel: „Hast du schon meine Version von ‚Cheri, Cheri Lady‘ gehört?“
Nein! Warum ausgerechnet das, Marcel?! Muss das sein?
Aber dann stellt sich heraus: Es ist immer alles eine Sache der Interpretation. Marcel macht aus Polyester reine Seide. Ein oberflächliches Hoppel-Lied bekommt plötzlich, ohne dass eine Note geändert wird, Tiefe und Charakter.
Glücksfaktor: Könnerschaft …