Ein apartes Mädchen mit dunklen Augen und kastanienbraunem Haar. Sie wurde beinah, jedoch nicht ganz, Königin von Dänemark. (Um es wirklich zu werden, war sie nicht adelig genug.)
Aber wer von Kirsten erzählt, der muss besonders ihre Mutter, Ellen Marsvin, erwähnen. Denn Kirsten selbst war nur freundlich, sanft und hübsch – wenn auch durchaus intelligent.
Ellen Marsvin zeichnete sich durch Ehrgeiz, Klugheit und Skrupellosigkeit aus. Sie wusste genau, was sie wollte. 1611 zum zweiten Mal Witwe, reiche Erbin bereits durch ihre Eltern und noch viel mehr durch die beiden verstorbenen Gatten, von Natur aus geschäftstüchtig, gehörte sie zu den größten Landbesitzern Jütlands und war aktuell die reichste Frau in Dänemark.
Ellen besaß ein großes Talent zum Planen und Organisieren. Sie sorgte dafür, dass ihre reizende Tochter dem König gefiel, und sie bekam ihn dazu, ihre Tochter zu heiraten, 1615, da war Kirsten siebzehn Jahre alt. Diese Ehe nannte sich morganatisch, zur linken Hand. Sie wurde nicht in der Kirche vollzogen und Kirsten landete nicht auf dem Thron. Doch ihre Mutter handelte einen überaus günstigen ‚Ehevertrag‘ aus.
Der König, um den es ging, war Christian der IV. von Dänemark, einundzwanzig Jahre älter als Kirsten und, solange er nicht vom Regieren abgelenkt wurde, fortgesetzt damit beschäftigt, Nachkommen herzustellen.
Christian hatte zum ersten Mal 1597 geheiratet, (ein Jahr, bevor Kirsten geboren wurde also) – eine echte Prinzessin, Anna Katharina von Brandenburg, die deshalb zur echten Königin wurde. Abgesehen von ihrem besonders blauen Blut soll allerdings überhaupt nichts Besonderes an ihr gewesen sein
Vermutlich deshalb hielt sich der König von Anfang an Mätressen: Langzeitgeliebt, One-Night-Stands und was sich sonst so bot. Während die Königin ihm in 15 Ehejahren – danach konnte sie nicht mehr und starb – sechs Kinder schenkte, bekam der König von diversen Freundinnen diverse Kinder; davon drei anerkannte, zwei Söhne und eine Tochter, von privilegierteren Mätressen.
Auch seine Gattin ‚zur Linken‘, Kirsten Munk, lieferte nach der Eheschließung innerhalb von 14 Jahren 10 Kinder. Immerhin acht davon erreichten das Erwachsenenalter. Allerdings ist sehr die Frage (und diese stellte sich auch der König) ob Kirstens jüngste Tochter nicht von einem anderen Vater stammte als von Christian IV.
Das war unschön. Gerade hatte ihr morganatischer Gatten Kirsten zur Gräfin von Schleswig-Holstein erhoben. Und nun so was!
Sie war einem Mann begegnet, der den König auf der Stelle blass und langweilig aussehen ließ – Otto Ludwig Graf von Salm, ein General des Dreißigjährigen Kriegs, kämpfend für Schweden, jedoch gebürtiger Deutscher. Er stammte aus Rheinland-Pfalz, verfügte über lebhafte dunkle Augen, wilde dunkle Locken und ziemlich viel Charme. (Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass ich Kirsten Munk absolut verstehen kann.)
Darüber hinaus war Otto kaum ein Jahr älter als sie selbst. Zwischen beiden brach eine heftige Romanze aus, die dazu führte, dass Kirsten dem König kurz mitteilte, das war’s für sie, was die morganatische Ehe anging – und ihm die Schlafzimmertür vor der Nase zuknallte.
Das missfiel Christian. Seine Schwiegermutter, Ellen Marsvin, war auch nicht gerade begeistert. Vor einiger Zeit erst hatte der König sie beauftragt, mehrere große Güter ‚unter der Hand‘ zu kaufen. Die sollten Kirsten eines Tages, falls Christian vor ihr verblich, einen komfortablen Alterssitz garantieren. Bis dahin würde Ellen alle Beträge, die die Güter ergaben, ihrerseits kassieren dürfen. Das sah jetzt gar nicht mehr so gut aus.
Ellen knöpfte sich ihre Tochter vor und verlangte, sie möge auf der Stelle diesen deutschen General vergessen und sich ihrer Pflicht widmen, dem König noch mehr (und zwar zweifelsfrei seine) Babys zu liefern.
Kirsten erwiderte, nur über ihre Leiche.
Ellen lamentierte – nach allem, was sie mit ihrem Scharfsinn und Talent für ihre Tochter und die eigene Familie eingefädelt hatte! Jetzt würden sie in Ungnade fallen und schlimmstenfalls bald am Hungertuch nagen!
Kirsten meinte, ihre Mutter sollte ihren Scharfsinn und ihr Talent benutzen und sich etwas einfallen lassen – ohne ihre Mitwirkung. Dann ging sie, um mit Otto auszureiten.
Ellen, der die Enkel, diese nicht-ganz-hundertprozentigen-Königskinder, gerade zur Erziehung anvertraut waren, blickte nachdenklich auf die Kleinen – und noch nachdenklicher auf das hübsche, freundliche Kindermädchen, Wiebke Kruse. Das stammte auch aus Deutschland, aus dem Kreis Steinburg nämlich in Schleswig-Holstein. Wiebke war ungefähr Mitte zwanzig, hatte ursprünglich ziemlich klein als Wäscherin angefangen und sich bisher ebenso anstellig wie gehorsam gezeigt. Ellen Marsvin ließ einen Krug Wein kommen und vertiefte sich in ein nettes Gespräch mit dieser Wiebke. Sie hatte da ein dunkelrotes Samtkleid, ziemlich tief ausgeschnitten, das ihr nicht mehr passte. Ob Wibke das mal probieren mochte?
Als der König, missmutig und vergrätzt, seine Schwiegermutter und seine Kinder besuchte, um über Kirsten zu jammern – da trug Wiebke Kruse zufällig dieses Samtkleid, das ihr hervorragend stand. Und weil Ellen ihm so klug einen Ersatz zuschob, fiel Kirsten Munks Familie auch nicht sonderlich in Ungnade und musste schon gar nicht am Hungertuch nagen. Vor allem die Ehemänner ihrer Töchter gelangten zu großer Macht und politischem Einfluss in Dänemark.
Christian IV. ließ sich von Kirsten scheiden, kaufte Wiebke ein Gut in Bramstedt (damals noch ohne ‚Bad‘), das er zum Schloss umbauen ließ, und schenkte ihr den ‚Königshof‘ in Glückstadt an der Elbe, eine Stadt übrigens, die er sich selbst ausgedacht hatte. Dort befindet sich heute noch der Wiebke-Kruse-Turm.
Der König heiratete Wiebke nicht, nicht mal morganatisch. Doch er blieb mit ihr bis zu seinem Tod, ungefähr neun Jahre später, zusammen. Sie bekamen noch zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen.
Kaum war Christian, in seinem 71. Lebensjahr, gestorben, da jagten Kirsten Munks Schwiegersöhne Wiebke Kruse, die gerade krank war, vom Hof und brachten sie am Rand von Kopenhagen äußerst schlicht unter. Sie starb kaum zwei Monate später – woran, ist ungeklärt. Ellens Familie brauchte sie nicht mehr.
Glücksfaktor, meistens: gebraucht zu werden …
(Diese Geschichte findet übrigens, wie das richtige Leben, eine Fortsetzung. Übermorgen geht es weiter.)