war bekanntlich eine schöne, rassige spanische Tänzerin.
Aber wenn wir ganz ehrlich sein wollen: Sie hieß eigentlich weder Lola noch Montez. Tänzerin war sie nur im weitesten Sinne und Spanierin auch nicht wirklich. Allerdings benutzte sie über eine Reihe von Jahren geläufig einen dicken spanischen Akzent.
Dafür war sie auf jeden Fall schön und rassig, mit rabenschwarzem Haar zu großen blauen Augen unter ausdrucksvoll geschwungenen Brauen wie dunkle Möwenflügel.
Wo besitzen die Menschen eher noch als in Spanien helle Augen zu schwarzem Haar? Richtig, in Irland. Dort wurde am 17. Februar 1821 dieses erstaunliche Frauenzimmer als Eliza Gilbert geboren. Ihre Mutter war aus einer Klosterschule ausgerissen, um ihren Vater zu heiraten, einen sehr attraktiven, aber mittellosen Offizier. Die kleine Familie kämpfte mit finanziellen Problemen und reiste schließlich nach Indien, wo Elizas Vater umgehend starb. Ihre sehr charmante Mutter fand schnell einen neuen Gatten, diesmal aus guter Familie und vermögend. Der Stiefvater schickte Eliza auf ein teueres Internat in England, die Mutter kümmerte sich rechtzeitig um eine gute Partie. Nach den schlechten Erfahrungen mit ihrem ersten Mann entschied sie sich für das genaue Gegenteil: Der Zukünftige ihrer kaum sechzehnjährigen Tochter war ein sechzigjähriger Richter, alles andere als attraktiv, aber auch alles andere als mittellos. Eliza war entsetzt. Sie türmte auf der Stelle mit einem hübschen, armen jungen Offizier, heiratete ihn und ging mit ihm nach Indien, alles nach dem ursprünglichen Muster ihrer Mutter.
Natürlich ging das auch wieder nicht gut. Der junge Mann holte sich zwar nicht den Tod, doch er ließ Eliza im Stich und verschwand mit einer verheirateten Lady. Seine junge Frau blieb sehr niedergeschlagen zurück. Sie nahm Kontakt zu ihrer Mutter auf, die sie postwendend wieder nach England schickte, zur noblen Familie ihres zweiten Gatten. Eliza kam allerdings in England an, doch nie bei den feinen Leuten.
Stattdessen tauchte im Juni 1843 in einem Londoner Theater eine ‚Lola Montez aus Sevilla‘ auf, die einen echt Andalusischen Tanz zum Besten gab, den hohen Kamm auf dem Hinterkopf. Das war dann die junge Frau mit dem dicken spanischen Akzent. Andalusien hatte wahrscheinlich keine Ahnung von Tänzen dieser Art, die Lola selbst erdacht und einstudiert hatte – aber sie gefielen dem Publikum, vor allem dem männlichen Teil der Zuschauer. Nicht nur in England, auch in Belgien, Polen und Deutschland feierte die feurige Spanierin – na ja, nicht Triumphe. Allenfalls Triümphchen. Ein bisschen mühsam war die Sache schon und der ganz große Erfolg trödelte ständig in der Zukunft herum. Immerhin war sie in der Lage, sich selbst zu ernähren und von keinem Mann abhängig zu sein, sonst das gewöhnliche Schicksal einer Frau im 19. Jahrhundert.
Lola, als echte Wassermännin ihrer Zeit weit voraus, gewann an Selbstbewusstsein. Sie trug im Privatleben überwiegend Reitkleider, was amazonenhaft wirkte, und begann, Zigarren zu rauchen. Wenn sie mit jemandem unzufrieden war – etwa Hotelpersonal oder andere Dienstleister – dann teilte sie herzhafte Ohrfeigen aus.
In Berlin hatte die temperamentvolle Lola Streit mit einem schnauzbärtigen Polizisten und knallte ihm ihre Reitpeitsche um die Ohren. Das ging erstaunlich gut aus: Zunächst mal kam sie aus irgendeinem Grund nicht ins Kittchen; vor allem jedoch gelangte der Zwischenfall in die Zeitung – und als Lola am nächsten Abend tanzte, war der Saal zum ersten Mal ausverkauft!
Eliza/Lola begriff, was Madonna und Lady Gaga ebenfalls verstanden haben. Skandal ist prima für’s Showbusiness. Schlagzeilen müssen nicht positiv sein, Hauptsache, es sind Schlagzeilen.
Nachdem sie ein bisschen was mit Alexandre Dumas dem Älteren und Alexandre Dumas dem Jüngeren gehabt hatte sowie durch eine kurze heiße Affäre mit Franz Liszt dessen sowieso schwierige Beziehung zu Marie d‘Agoult weiter komplizierte, reiste sie nach Bayern, um in der Münchener Hofbühne aufzutreten. Der Intendant sah dafür keine Notwendigkeit und wünschte noch einen guten Tag. Den machte sich Lola. Sie rauscht zum Hof, um sich beim König persönlich über das mangelnde Kulturbewusstsein seiner Untertanen zu beklagen. Durch ihre inzwischen übliche Dreistigkeit schaffte sie es, ohne Audienz und Voranmeldung zu Ludwig I. durchgelassen zu werden; wohl auch, weil seine Schwäche für hübsche Frauen bekannt war. (Obwohl durchaus glücklich verheiratet – seiner Ansicht nach – benötigte er nebenbei weitere große Portionen weiblicher Schönheit. Die ließ er auch gern für seine ‚Schönheiten-Galerie‘ in Schloss Nymphenburg malen.)
Lola war inzwischen 25, der König 60. Es war Liebe auf den ersten Blick – also von seiner Seite aus.
Sie schimpfte über den Intendenten, er betrachtete sie schmunzelnd und erkundigte sich, ob ihr üppiger Busen echt oder durch modische Tricks gefaked wäre. (Mächtige Männer dürfen sich immer etwas mehr erlauben.) Lola, gern auf Effekte bedacht, knöpfte sich daraufhin keineswegs das Leibchen auf – sie nahm vielmehr einen scharfen Brieföffner vom Schreibtisch des Königs, ruinierte durch einen schnellen Schnitt ihre Garderobe und zeigte, wie echt sie war.
Drei Tage später hatte sie ihren ersten ’spanischen‘ Auftritt am Münchner Hof- und Nationaltheater. Einen Monat darauf änderte der König zu ihren Gunsten sein Testament. Madame Montez sollte nach seinem Tod 100.000 Gulden erhalten, wenn sie bis dahin weder verheiratet noch Witwe wäre. So etwas hatte er noch nie gemacht, für keine Mätresse.
Im Gegenteil, seine leidgeprüfte Gattin, die geduldige Therese, klagte häufig über Ludwigs
ausgeprägten häuslichen Geiz. Sie selbst wurde mit einem ‚Nadelgeld‘ von 12.000 Gulden jährlich beknausert, Lola Montez schenkte der König zu ihrem 26. Geburtstag (neben weiteren Geschenken) mal eben 40.000 Gulden: „Kauf dir was Schönes!“
Lola wohnte ab sofort in einer Prunkvilla in München, wurde zur ‚Gräfin von Landsfeld‘ ernannt (Begründung: ihre vielen Wohltaten für die Armen) und erhielt eine jährliche Rente von 2.400 Gulden. Um ihr auch noch die Staatsbürgerschaft zu verleihen, musste der König erst mal seinen Innenminister entlassen, der Einwände äußerte. Worauf sich das Kabinett auflöste.
Die neue Gräfin Lansfeld trat in eine Studentenverbindung ein (was möglicherweise damit zu tun hatte, dass sie eine Nebenbeziehung mit dem sehr attraktiven Elias Peißner anfing, dem Corps-Vorsitzenden, einige Jährchen jünger als sie selbst.) Vor allem benötigte sie so etwas wie eine studentische Leibgarde. Ihre riesige kriegerische Dogge Turk und die Reitpeitsche allein genügten nämlich nicht mehr, um sich gegen die feinselige Bevölkerung zu verteidigen. Die Münchner hatten, gelinde gesagt, nicht viel übrig für das öffentlich Zigarren qualmende und Ohrfeigen verteilende Weibsbild, die Karikaturisten ihre helle Freude an der neuen Vorlage.(Übrigens darf man im Münchener Stadtmuseum immer noch einen weggeworfenen Zigarrenstummel der Montez bewundern.)
Lola wurde unterwegs gern mit Pferdeäpfeln beworfen und einmal von der aufgebrachten Bürgerschaft derart geschubst und gehauen, dass sie sich in eine Kirche flüchten musste. Dabei war sie gar nicht besonders fromm.
Die studentische Verbindung, der sie angehörte, hieß Alemannia – wenn auch von den Münchnern ‚Lolamannen‘ genannt – und bekam bald Riesenzoff mit den anderen Corps, die sich im ernsthaften Geist ihrer Sache veralbert fühlten. Im Februar 1848 ließ der König deshalb mit sofortiger Wirkung die Universität schließen und befahl sämtlichen Studenten, die Stadt zu verlassen.
Da Studenten bekanntlich meistens aufmüpfig sind und da genau in diesem Jahr die studentischen Unruhen eine deutsche Revolution auslösen sollten, ging das mit dem Stadt-Verlassen daneben, im Gegenteil: Es kam zu Unruhen in der Residenz und Ludwig I. sah sich im März gezwungen, abzudanken. Lola hatte ihn den Thron gekostet.
Die Tänzerin floh sehr zu Recht, zunächst in die Schweiz, dann nach England und schließlich nach Amerika, wo sie am Broadway auftrat in einer Art Musical: Lola Montez in Bavaria, in dem sie praktischerweise sich selbst darstellte und ihre Affäre mit dem König breit trat.
Sie heiratete noch dreimal ein bisschen,aus Neigung, nicht aus Berechnung, obwohl sie doch wusste, dass ihr das nicht wohltat, lebte eine Weile in einer Goldgräberstadt an der amerikanischen Ostküste und wechselte dann zu einer anderen Goldgräberstadt in Australien. In Sidney und Melbourne trat sie mit ihrem Musical auf. In Ballarat leistete sie sich eine saftige Prügelei mit einem Journalisten, der hässliche Sachen über sie im Lokalblatt geschrieben hatte. Am auf die Rauferei folgenden Abend übrigens erhielt sie ungeahnte Ovationen vom Goldgräber-Publikum.
Zurück in Amerika, umgefähr 1857, überkam Lola Montez eine Art Erleuchtung, eine religiöse Erfahrung. Sie warf auf der Stelle ihr frivoles Gehabe, die Reitpeitsche und den schweren spanischen Akzent von sich und erschien von nun an in schlichten Kleidern, mit klarer englischer Aussprache. Statt lasziv auf der Bühne zu tanzen hielt sie Vorträge, die Lebenshilfe beinhalteten. Sie engagierte sich für gefallene Mädchen (da brachte sie gewiss viel Verständnis ein), schilderte ihre Rückkehr zum Christentum, ließ, respektvoll und sachlich, etwas zur Frauenemanzipation hören und gab auch Schönheitstipps, abgedämpft durch die ehrenwerte Ansicht, es käme in erster Linie auf innere Schönheit an.
Erstaunlicherweise hatte sie mit ihren Reden großen Erfolg, ebenso mit einigen entsprechenden Büchern. Sie ging sogar noch einmal auf eine Lesereise durch England, ebenfalls mit sehr zufriedenstellendem Ergebnis.
Lola Montez starb, vermutlich an Lungentuberkulose, am 17. Januar 1861, ganz genau einen Monat vor ihrem vierzigsten Geburtstag. Vielleicht machte ihr dieses Datum Angst, Vielleicht hätte sie nicht so viel Zigarren rauchen sollen. Ihr Grabstein auf einem Friedhof in Brooklyn sagte nichts von einer schillernden spanischen Tänzerin. Da steht schlicht: Mrs. Eliza Gilbert.
Der alte König Ludwig, ihretwegen vom Thron gestürzt, überlebte sie um sieben Jahre. Seine leidgeprüfte Gattin Therese verließ die Welt bereits sieben Jahre früher, und zwar auf tragische Weise: Im Herbst 1854 wütete in München die Cholera, 9000 Opfer gab es zu beklagen. Therese nahm an einem Dankgottesdienst zum Ende der Epedemie teil – die wohl eben doch nicht ganz vorbei war, denn die Königin steckte sich bei dieser Gelegenheit an und starb Ende Oktober an der Cholera. Sollte uns das zu denken geben?
Glücksfaktor: Das Leben selbst in die Hand zu nehmen, auch, wenn es dabei die eine oder andere Prügelei gibt …
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