Ich hab ein Problem. Ich hab ein Problem mit Männern, die kurze Hosen tragen. Nein, ich finde sie nicht unsittlich. Nur albern.

Da wir neuerdings in den Tropen wohnen, wird es akuter.
Ich weiß, dass es falsch ist. Die Sache geht mich nichts an. Jeder kann sich kleiden, entblößen, stylen, rasieren, piercen oder lackieren wie er will, es ist mitnichten mein Problem.
Es ist mir aber eins.
Männer in langen Hosen beispielsweise können von mir aus gern Socken in Sandalen tragen, notfalls sogar Ringelsocken. Das tut mir weniger weh.
Doch kurze Hosen an noch so schönen Männerbeinen schmerzen mich. Okay, Fussballer und Boxer und solche Leute dürfen. Alle anderen nicht.
Ich fürchte, ich habe das von meiner Mutter übernommen, sowohl genetisch als auch die Angewohnheit der optischen Kritik. Dabei ging’s ihr nicht speziell um kurze Hosen (keine Ahnung, wie sie darüber dachte). Mama genierte sich nie, alles, was ihrem Schönheitssinn nicht in den Kram passte, laut und deutlich zu verurteilen. Notfalls sprach sie in aller Seelenruhe von einer ästhetischen Zumutung. Wer von ihr in dieser Weise abgekanzelt wurde, konnte im Grunde nur noch nach Hause gehen, das Outfit wechseln und sich erschießen.
So ausgeprägt ist das bei mir nicht. Ich äußere mein Missbehagen nicht laut, jedenfalls nicht den Tätern – nein, den Hosenträgern – gegenüber. Ich gucke nur waidwund.
Sofern ich einen Kurzhosenmatz näher kenne, kommt es allerdings schon mal zu einer Diskussion. Seit Jahrzehnten höre ich mir die Einwände geduldig an: Dass doch Frauen bei großer Hitze auch ‚was Leichtes‘ tragen, beziehungsweise immer weniger. Dass es ab 28° Celsius unmöglich sei, die Beine zu bedecken.
Mein Standartargument lautet, Beduinen hingen bei 45° in der syrischen Wüste auch nicht in kurzer Hose auf dem Kamel, im Gegenteil. Sie sind so klug, sich mit langen, weiten, leichten Stoffen zu bedecken, weil zwischen denen und ihrer Haut die Luft kühlend zirkulieren kann.
Warum also muss jemand, der im Auto eine Klimaanlage anmachen kann, seine roten Knubbelknie zeigen?
Da ich zutiefst von der Überzeugung durchdrungen bin, es käme allein auf Innere Werte an, bemühe ich mich natürlich, einfach nicht hinzugucken. Das gelingt nicht immer.
Gestern wollte ich gerade den Supermarkt betreten, als mir flotten Schrittes ein Mann entgegenkam, ein besonders großer, schlanker. Gepflegtes weißes Haar, ein edles, sympathisches Gesicht, ein kurzer grauer Bart. Obenrum: ein kurzärmeliges Leinenhemd, sportlich-elegant. Untenrum: ein braunes Mittelding aus Shorts und Badehose sowie ungewöhnlich lange, spindeldürre, schneeweiße nackte Beine mit Krampfadern.
Der Mensch war prallgefüllt mit inneren Werten, das konnte man deutlich erkennen.
Und es geht mich ja wirklich überhaupt nichts an.
Glücksfaktor: Augenblicklich gibt es in Europa immer noch im weitesten Sinne so eine Art Winter …