Die berühmte 42. Straße liegt in New York City.
Nicht wenig Leute mögen diese Stadt sowieso für den Nabel der zivilisierten Welt halten, die Großstadt an sich, pulsierender, hektischer, spannender als jede andere. Wenn du es HIER schaffst, sang Frank Sinatra, dann schaffst du es überall …
Der Nabel von New York City, zumindest der energetische, ist zweifellos Manhattan. Hier spielt die Musik, hier gibt es einige der höchsten Gebäude und der berühmtesten Theater (natürlich und vor allem am Broadway), den Central Park, das Museum of Modern Art, die Wall Street. Hier gab es die Zwillingstürme des World Trade Centers, die Stelle ist inzwischen neu und anders bebaut.

Eine der wichtigsten und bekanntesten Straßen in Manhattan ist die 42. Über sie wurde ein Film gemacht (1933) sowie ein Musical (1980), sie ist gewissermaßen der Nabel des Nabels des Nabels. Ich habe hier mal einige Nächte in einem Hotel verbracht und litt schließlich an dem Gefühl, ununterbrochen vor Spannung zu vibrieren wie ein Presslufthammer.
Neben vielen anderen gibt es in dieser 42. Straße ein Phänomen, das ‚Manhattanhenge‘ genannt wird, in Verwandtschaft zu Stonehenge im alten Britannien, dem berühmtesten Steinkreis der Welt, einem uralter Kultort.
In Stonehenge stehen viele Hinkelsteine (so etwa 42, aber das ist eine Vermutung), derart sortiert, dass an den Sonnenwendtagen das Himmelsgestirn durch eine bestimmte Steinlücke guckt. Es wird noch viel daran geforscht und es gibt noch viel zu entdecken und zu deuten. Auf jeden Fall ist es ein mystischer Ort, an dem spirituelle Feste gefeiert wurden – und immer noch werden. England glaubt gern an das Übernatürliche und ist gut Freund mit Geistern und Mirakeln.

Manhattanhenge wird zweimal im Jahr angestaunt, drei Wochen vor dem längsten Tag, Ende Mai und nochmal drei Wochen später, Mitte Juli, ungefähr halb neun Uhr abends. Die New Yorker nennen es inzwischen den Instagram-Urlaub, weil der Anblick so viele Touristen anlockt, die es fotografieren und die Bilder natürlich posten wollen. Auf Instagram.
Wenn es freundlicherweise nicht regnet, dürfen die erwartungsvoll mit Handy und Kamera Herumstehenden ihn genießen: den Sonnenuntergang. Kein Schatten von irgendwoher, was daran liegt, dass diese Straße (so wie ihre Parallelstraßen) exakt von Ost nach West verläuft, ohne die kleinste Krümmung. Man blickt von dort über den Hudson River bis nach New Jersey und kann die Sonne, orangerot, schnurgerade zwischen den Häuserschluchten hinunter in ihr Bett rutschen sehen.

Der typische New Yorker glaubt ziemlich wenig an das Übernatürliche oder an Mirakel. Wenn merkwürdige Sachen passieren oder wenn es eigenartige Übereinstimmungen gibt, dass dürfte er das für Zufall halten.
So ergab es sich zufällig, dass am 13. Juli 1977, am Tag nach Manhattanhenge, in New York City das Licht ausging. Komplett. Die Metropole lag im Dunkeln. Keine Straßenlaternen, keine Fahrstühle, keine Verkehrsampeln, keine U-Bahnen. Klimaanlagen und Tiefkühltruhen nahmen frei, und das war bitter, mitten in einer Hitzewelle. Krankenhäuser schalteten auf Notstrom um. Im etwas preiswerteren Bellevue Hospital gab es den auch nicht mehr und Ärzte und Schwestern bepumpten die Beatmungsgeräte per Hand, um ihre Patienten am Leben zu erhalten.
Damals marodierten viele Bürger. Sie brachen im Schutz der Dunkelheit in Geschäfte ein und bedienten sich. Sie setzten schließlich sogar Häuserblocks in Brand.
2019 war das nicht so schlimm. Zwar verabschiedete sich wieder – zufällig – am Tag nach Manhattanhenge der Strom, Fahrstühle und Klimaanlagen und so weiter machten Pause, die City lag in Finsternis. Doch die einzig wirkliche Unruhe entstand offenbar durch die Freudenschreie der New Yorker, als das Licht gegen Mitternacht wieder anging. Bis dahin waren alle lieb miteinander umgegangen. Die Darsteller von Broadway-Shows boten sogar Gratisauftritte auf den Straßen, und Bars und Restaurants zündeten Kerzen an …

Glücksfaktor: Ein gesundes Stromnetz