Scharlach – die gefährliche Kinderkrankheit


Scharlach ist eine Farbe; ein aggressives, etwas ins Gelbliche spielendes Rot. In dieser Farbe leuchtet die Mundhöhle eines Menschen, der sich damit infiziert hat. Oft ist die Zunge zunächst einige Tage weiß belegt, bevor sich das zeigt, was ‚Himbeerzunge‘ genannt wird. Normalerweise dringen die Erreger – Streptokokken, eine Bakterienart – durch den Nasen- oder Rachenraum ein, übertragen durch Tröpfchen oder verunreinigte Gegenstände. Allerdings verschmähen sie es auch nicht, hin und wieder mittels offener Wunden in den Körper zu gelangen, falls es sich ergibt.

Der Patient leidet zunächst an intensivem Halsweh und Schluckbeschwerden. Dazu kommen eine Reihe grippeähnlicher Symptome wie hohes Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen. Bis hierhin könnte es noch alles Mögliche sein, viele Infektionskrankheiten fangen auf dieselbe Art an. Erscheinen – meist überall auf dem Körper und auch im Gesicht – eine Menge roter Pünktchen, dann weiß der Arzt Bescheid. Vor allem, wenn rund um Mund und Kinn eine Fläche ungepünkelt bleibt. Das nennt sich Milchbart, ein weiteres typisches Anzeichen der Krankheit.

Im 9. Jahrhundert erschien der Erreger zum ersten Mal in Europa und tauchte von da ab in Wellen immer wieder auf. 1824 forderte eine Epidemie in Frankreich eine ähnlich hohe Sterblichkeitsrate wie Pest und Cholera – und war ebenso gefürchtet. Scharlach galt damals schlicht als die tödlichste aller Kinderkrankheiten, und am meisten gefährdet waren Kinder zwischen vier und sieben Jahren.

Doch natürlich konnten sich auch Erwachsene damit anstecken. Caroline Mathilde, die unglückliche Königin von Dänemark, die wegen ihrer Affaire mit Struensee vom Hof verbannt worden war, lebte im Exil in Celle, als dort im Mai 1775 eine Scharlachepidemie grassierte. Sie hatte eine kleine Pflegetochter angenommen, denn sie liebte Kinder sehr; ihre eigenen waren ihr weggenommen worden. Das kleine Mädchen erkrankte, und Caroline Mathilde wollte sie unbedingt selber pflegen. Sie verbrachte den ganzen Tag am Krankenbett – und war einige Tage später tot, erst 23 Jahre alt. Wegen der Infektionsgefahr setzte man die Königin noch in derselben Nacht in der Fürstengruft bei, ohne große Feierlichkeiten.

Der Dichter Friedrich Rückert hatte 1833 sechs Kinder, fünf Söhne und eine Tochter, Luise. Im Dezember erkrankten alle Rückert-Kinder an Scharlach.

Vier der Jungen überlebten, aber ausgerechnet die dreijährige Luise, die er über alles geliebt hatte sowie sein erklärter Lieblingssohn, der beinah sechsjährige Ernst, starben. Friedrich Rückert kam nie über den Tod seiner beiden Kinder hinweg. In den Jahren 1833/1834 schrieb er 428 Gedichte, die er „Kindertotenlieder“ nannte: „im Gedenken an meine beiden liebsten und schönsten Kinder“.

Du bist ein Schatten am Tage,
Doch in der Nacht ein Licht;
Du lebst in meiner Klage
Und stirbst im Herzen nicht

Der Komponist Gustav Mahler vertonte 1904 einige dieser Gedichte, natürlich mit entsetzlich schwermütigen Melodien. Seine junge Frau Alma, (die sowieso gerade anfing, in ihrer Ehe von Herzen unglücklich zu sein), konnte absolut nicht begreifen, was ihrem Mann ins Geweih gefahren war, Kindertotenlieder zu komponieren, während seine beiden lebendigen kleinen Töchter glücklich im Garten spielten. Alma wurde das dumpfe Gefühl nicht los, dass ihr genialer Gatte hier das Schicksal herausforderte. Und – siehste! – 1907 erkrankten die beiden kleinen Mädchen an Scharlach. Anna, die jüngere, überlebte, aber die vierjährige Maria starb, nachdem noch Diphtherie dazugekommen war. Und auch gerade sie (die er Putzi genannt hatte) war das Lieblingskind ihres Vaters gewesen …

Literarisch wurde Scharlach häufig bemüht, um Verwicklungen zu verstärken oder zu entwirren, je nach dem. Im Roman ‚Heut heiratet mein Mann‘ von Annemarie Selinko gibt es genau zum Kriegsbeginn 1939 in Dänemark eine Scharlachepidemie, an der sich auch Thesi, die Heldin, ansteckt. Während sie von Freunden, die sie im Krankenhaus (hinter einer Glasscheibe) besuchen, die neuesten Nachrichten hört, bleibt ihr nichts, als im Bett zu liegen und sich Hautfetzen abzuzupfen – denn wer Scharlach hatte, der pellt sich.

Und das berühmte ‚Nesthäkchen‘ von Else Uri, eine Kinderbuchreihe vom Anfang des 20. Jahrhunderts, liegt mit Scharlach – und ohne Antibiotika, die gab es noch nicht – derart lange im Krankenhaus, dass es schließlich noch einmal laufen lernen muss.

Es existiert keine Schutzimpfung, und auch, wer bereits erkrankt war, ist keineswegs immun. Bei Erwachsenen verläuft die Krankheit meistens schwerer als bei Kindern – rund ein Viertel aller Fälle (im Jahr ungefähr 50.000 Menschen in Deutschland) betrifft sie. Dank Antibiotika ist Scharlach beherrschbar geworden. Besiegt jedoch auf keinen Fall. In den Schwellenländern Osteuropas wüten ständig neue Epidemien, und auch aus England werden seit 2009 viele neue Fälle gemeldet, noch dazu mit erhöhter Sterblichkeit. 2016 verzeichneten englische Gesundheitsämter 620 Ausbrüche mit jeweils fast 20.000 Erkrankungen, immer im Frühling.

Trotzdem, die ganz große Macht der Krankheit, die Eltern verzweifeln ließ, scheint gebrochen …

Glücksfaktor: in diesem und ähnlichen Fällen dann wirklich mal Penicillin & Co.!

 


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