Schimpfen tut wohl


Sich über etwas aufzuregen, das andere anstellen und das man selbst viel besser könnte oder überhaupt bleiben lassen würde, verleiht ein wunderbares Gefühl der Überlegenheit: den Kopfschüttel-Aspekt.

Mir ist aufgefallen, dass in der letzten Zeit vor allem zwei Sorten von Video Beiträgen in den ‚Sozialen Netzwerken‘ immer wieder dafür sorgen, dass der Betrachter ganz glücklich wird, weil er so was Empörendes lange nicht gesehen hat.

Das stimmt ja nun nicht so ganz, weil es, wie gesagt, inzwischen ziemlich häufig zu sehen ist. Aber noch wirkt es offenbar genug, um Tausende von Klicks – oder Meinungen – zu bringen. 

Das ist zum Einen ein Opfer mit meistens besonders schönem, gesundem, langem Haar, das auf einen Friseurstuhl gesetzt wird. Manchmal geschieht das ganze Drama wortlos, aber häufig wird auch erklärt, das Opfer sei gerade wegen eines miesen Aussehens vom Partner verlassen – aus der Stellung gemobbt – gar nicht erst eingestellt worden. Nun also sollte der Friseur das Schicksal ändern und er greift zur Schere, um am Haar herumzuschnippeln, derart, dass den Zuschauer das kalte Grausen überfällt. (Mich besonders, weil ich kurzes Haar nicht mag.)

Zuerst wirkt es noch so, als könne was draus werden – der Friseur macht es spannend – aber er beruhigt sich nicht, er hört nicht auf, bis er fast die Schädeldecke erreicht hat und noch etwas rasieren kann.

Oder die verbliebenen traurigen Fransen in irgendeine Art von Frisur quält, meist asymmetrisch, ein kleiner Wusch über einem Auge, das andere Ohr kahl. 

Nächster Akt: Das Opfer springt strahlend auf, beschaut sich mit Freudentränen im Spiegel, knutscht den Friseur ab – und wir erfahren, nach dieser Tat des Grauens bekam derjenige oder diejenige nicht nur den ersehnten Posten, sondern wurde gleich Abteilungsleiter, und der Partner kehrte auch sofort reumütig zurück.

Reaktion der User: Um Himmels Willen – wie konnte er nur!

Ganz oft: Ich würde den Friseur verklagen!

Auch häufig: Das kriegt sie niemals selbst wieder so gestylt! Einmal drauf geschlafen und alles ist im Eimer.

Einige wenige, die vielleicht provozieren wollen, behaupten, das sei doch sehr schick.

So, und das andere Drama beginnt mit der Behauptung, hier komme ein besonders leckeres/einfaches/gesundes Rezept.

Es scheint sich dabei nicht um die gewöhnliche Menge ‚für 4 Personen‘, sondern eher um die für einen Gesangverein oder eine kleine Firma zu handeln. Manchmal rührt die Köchin alles in ihrem Edelstahl-Küchenbecken an. Das ist natürlich besonders schockierend, weil jeder weiß, dass sich in einer geputzten Kloschüssel weniger Bazillen & Co befinden als in einem noch so geschrubbten Edelstahl-Küchenbecken. Hier haben wir also bereits das erwünschte ‚Igitt‘-Gefühl.

Die Köchin wirft aus Leibeskräften Lebensmittel zusammen – alles aus Packungen und Dosen, bloß nix Frisches. Ab und zu streicht sie mit beiden Händen alles ein wenig platt, um Platz für weitere Zutaten zu schaffen. Immer ist mindestens ein ganzes Paket Butter dabei, ein Laib Käse in großen Stücken sowie eine Riesenpackung geriebener Cheddar-Käse. Manchmal ein Pfund in Scheiben geschnittener Schinken oder ein Kilo Würstchen.

Es entsteht zwingend der Eindruck, dass es darum geht, Irgendwen so schnell wie möglich zu mästen – eventuell ein Lebewesen, das in kürzester Zeit gegen einen Sumo-Ringer antreten soll und dem dazu noch ganz schön viel Gewicht fehlt. Gewürzt wird mit Salz, Pfeffer und Ahornsirup, eine halbe Flasche, dann mit beiden Händen alles in eine Riesenform umgeschichtet – und rein in den Backofen. Schließlich bekommen wir das Ergebnis präsentiert, das auf jeden Fall vor Hitze blubbert und sprudelnd seine fettige Seite zeigt.

(Ich möchte zu meiner Entschuldigung sagen: Ich habe kein entsprechendes Foto im Netz gefunden. Dies hier stimmt eigentlich nur insofern, dass es käseüberbacken ist. Ansonsten erkenne ich frische Zutaten, und die finden in den Video-Gruselrezepten nicht statt.)

Echo der Betrachter: Im Küchenbecken!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Oder: Mir wird übel!

Häufig auch: Und das soll also gesund sein? Das reicht für eine solide Cholesterin-Vergiftung!

Oft stehen die ersten zweitausend Meinungen in Englisch da und wechseln dann zum Deutschen. Die sagen dasselbe, nur auf Deutsch.

Glücksfaktor: Der Kopfschüttel-Aspekt …

 

 

 

 

 

 


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