Schweißfieber


nannte man eine Krankheit, die in einem feuchten, heißen, nebeligen August 1485 zum ersten Mal in England auftauchte.

Ungeheuer ansteckend, begann sie (praktisch sofort nach dem Kontakt mit einem Infizierten) mit Halsweh, Schüttelfrost, Schmerzen in den Gliedmaßen und dem Gefühl großer Erschöpfung. Das dauerte wenige Stunden, dann ging das Schwitzen los. Der Erkrankte litt an unerträglicher Hitze, Übelkeit und Erbrechen, Herzklopfen und rasendem Puls, häufig auch Nasenbluten sowie enormem Durst. Vor allem jedoch schwitzte er literweise. Deshalb war es ja wirklich sinnvoll, viel zu trinken.

Weil das Fieber es eilig hatte, starben viele, die sich eben angesteckt hatten, nach vier bis zwölf Stunden. Überlebte man einen Tag und eine Nacht, galt das als gute Chance, davonzukommen. Leider nur für dies Mal: Wer das Fieber bereits gehabt hatte, war anschließend keineswegs immun. Manch armer Mensch überlebten dem vierten oder fünften Anfall nicht mehr. Und viele, die es überstanden hatten, litten jahre- oder lebenslang an Herzrasen und nächtlichen Schweißausbrüchen.

Kaum in London angekommen, legte der Virus (nach einem kleinen Fest im Rathaus) innerhalb von vier Stunden zwei Bürgermeister und sechs Ratsherren um. Das Schweißfieber war ein Leckermäulchen und gab sich nicht mit Alten und Siechen zufrieden. Es verspeiste vielmehr am liebsten kräftige, gesunde Männer, blühende Jugendliche und mit besonderem Vergnügen reiche und angesehene Bürger. Und das alles zunächst nur innerhalb der Grenzen von England. Nach nicht ganz fünf Wochen war alles vorbei, die Krankheit schlagartig verschwunden.

Etwa 40 Jahre später ließ sie sich wieder blicken. Diesmal gab es nicht so viele Tote wie beim ersten Ausbruch. Immerhin starb der fünfzehnjährige Kronprinz Arthur und hinterließ seinem jüngeren Bruder Henry nicht nur die Krone sondern gleich auch seine Ehefrau, die junge Witwe Katharina.

Henry heiratete sie, bestieg den Thron und wurde Heinrich der Achte. Ohne das Schweißfieber wäre er vermutlich nie König geworden. Trotzdem empfand er keine Sympathie für die Krankheit, im Gegenteil, er fürchtete sie ganz gewaltig und reiste bei ihren späteren Besuchen geradezu hysterisch auf seiner Insel umher, in wilder Flucht vor der Ansteckung.

Nach etwa zehn Jahren, wieder in einem regenreichen, heißen Sommer, meldete sich die Seuche 1518 zum dritten Mal in England. Diesmal war sie besonders übel gelaunt. Sie wütete betont in den Universitätsstädten Oxford und Cambridge, als hätte sie es auf die geistige Elite abgesehen, und sie brachte in vielen Städten der Insel jeweils die halbe Bevölkerung um. Jetzt fuhr sie zum ersten Mal per Schiff über den Kanal nach Calais und naschte ein paar Franzosen. Aber damit ließ sie’s erstmal gut sein.

1528 folgte der vierte Ausbruch mit noch größerer Wucht. Wieder begann die Epidemie in London, verbreitete sich über ganz England, stockte an der Grenze zu Schottland und kam auch nicht hinüber nach Irland. Stattdessen rauschte sie nun mit rasender Geschwindigkeit über das restliche Europa bis nach Russland. Sie wurde zur Pandemie. In Hamburg starben 1100 Menschen in drei Wochen, in Augsburg 600 in drei Tagen. Das Schweißfieber tötete schnell und viele, es huschte vorbei, es blieb selten länger als drei Wochen an einem Ort. Österreich war betroffen, die Schweiz, ganz Skandinavien, die Niederlande und Polen.

1551 erlaubte die Seuche sich einen letzten Ausbruch, diesmal wieder allein auf England begrenzt. Noch einmal genoss sie die Gelehrten und Professoren in Cambridge. Zwei Schüler in dieser Stadt, der zweite Herzog von Suffolk, Henry Brandon, und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Charles, flohen in ein Dorf in der Nähe.

Noch am selben Abend erkrankten beide. Henry stab am nächsten Morgen. Dadurch wurde Charles, der den Titel von seinem Bruder erbte, der dritte Herzog von Suffolk. Eine Stunde lang. Dann war auch er tot. Er ging damit in die englische Geschichte ein als der kürzeste Duke aller Zeiten.

Behandelt wurde die Krankheit zunächst durch – Schwitzen. Man packte die Patienten in warme Decken. Und in noch mehr warme Decken. Aber irgendwann merkten sogar die Ärzte, dass sie ihnen damit nicht wohl taten. Vermutlich wurde ihr Kreislauf völlig überfordert. Nachdem diese Therapie endlich aus der Mode kam, überlebten deutlich mehr Menschen.

Wahrscheinlich handelte es sich beim Schweißfieber um einen mutierten, besonders aggressiven Grippevirus. Während des schlimmsten Ausbruchs, der ganz Europa betraf, fand man immer wieder Vogelleichen, die unter den Flügeln Eitergeschwüre zeigten. Insofern könnte es sich um eine Art der Vogelgrippe gehandelt haben.

Glücksfaktor: Diese Epidemie erschien nie wieder.

 


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