Obwohl ‚Leone‘ Löwe bedeutet – und obwohl ein liegender Löwe aus Stein seine Grabstätte ziert – war er demnach ein Steinbock. Sein Vater, Roberto Roberti (eigentlich Vincenzo Leone) zählte bei Sergios Geburt schon fast 50 Jahre. Was meine Theorie bestätigt, dass es kein Beinbruch ist, ältere Eltern zu haben. Roberto Roberti war Schauspieler, aber auch einer der ersten Filmregisseure Italiens und verheiratet mit einer der ersten (Stumm-) Filmschauspielerinnen, Edvige Valcarenghi.
Zwar studierte Sergio Leone in seiner Jugend mal ein wenig Jura – doch er sah wohl selbst schnell ein, wie albern das in seinem Fall war. Seit er halbwegs laufen konnte, hatten Papa und Mama ihn mit in die Studios geschleppt. Aufgewachsen mit dem harten Knall der Klappe und dem Hupen, das ‚Ruhe‘ im Studio verlangte, verstand er sich auf so ungefähr jeden Aspekt der Filmerei, vom Beleuchten bis zum Schnitt. Er hatte, seit er 14 war, als Kabelträger, Aufnahmeleiter oder, wenn’s gerade nötig war, Statist gearbeitet. Und natürlich ging er ins Kino, so oft er nur konnte. Beim Filmklassiker Fahrraddiebe von Vittorio de Sica machte Sergio 1948 schon mal die Regieassistenz.
In den 50er-Jahren liebte das Filmpublikum so genannte ‚Sandalen-Filme‘, dramatische bunte Riesenschinken, die im klassischen Altertum spielten: oben Locken, in der Mitte ein Schwert und unten besagte Sandalen, von hinten monumentale Orchestermusik, die jede mögliche Regung der Helden mit Geigen und Pauken untermalte. Leone fungierte in zwei der bekanntesten Machwerke dieser Art – Quo Vadis und Ben Hur – als Regisseur des zweiten Aufnahmeteams. Beides waren Hollywoodfilme, die jedoch mehr oder weniger vor Ort, nämlich in Italien, gedreht wurden.
Er hatte eine Schwäche für Wildwest-Filme, obwohl man ihm erklärte, die wollte (Anfang der 60er) kein Mensch mehr sehen. Bis in die späten 50er stammten Filme dieser Art aus Amerika – wenn wir freundlichst von Karl May und Pierre Brice absehen wollen. In amerikanischen Wildwestfilmen ging es überwiegend hochmoralisch zu. Es gab die Guten, schön von Angesicht und auf einem weißen Pferd, in frisch gebügeltem Hemd und in jeder Lebenslage glattrasiert. Dagegen mochten die Bösen schon mal einen Hemdknopf nicht geschlossen haben und möglicherweise, wenn man sie sehr ärgerte, leise fluchen.
Etwas anders kamen dann noch Die glorreichen Sieben angaloppiert, Yul Brynner an der Spitze. Das wirkte frecher, witziger, ziemlich ungewöhnlich. Der Regisseur John Sturges hatte sich ganz schlicht am berühmten Werk Die sieben Samurai des brillanten japanischen Regisseurs Akira Kurosawa orientiert, aus den Samurai Revolverhelden gemacht, das ganze nach Mexiko verlegt und seinen Darstellern den obersten Hemdknopf geöffnet.
Vermutlich hielt Sergio Leone das für eine gute Idee, denn er bediente sich ebenfalls bei Kurosawa und dessen letztem Film: Yojimbo – Der Leibwächter. Die Geschichte eines fremden Kriegers (bei Kurosawa ein stellungsloser Samurai, bei Leone ein ziemlich introvertierter Meisterschütze) der in einem kleinen Nest auftaucht und den darin herrschenden Kleinkrieg zweier Verbrecherbanden zum eigenen Besten beendet: Daraus wurde Für eine Handvoll Dollar, 1962 der ersten Film seiner ‚Dollar-Triologie‘,
Bei Leone wirkte der Wilde Westen endlich mal wirklich wild – und endlich authentisch. Den Protagonisten perlte sehr zu recht der Schweiß auf die Bartstoppeln, sie hatten dreckige Fingernägel und schlugen nach Brummern.
Wie in Hollywoodfilmen der 40er-Jahre, (die sich ‚Film Noir‘ nannten), standen die Retter und Helden dunkel schattiert da, nicht nur bestrebt, der Gerechtigkeit zu dienen, sondern durchaus interessiert an Geld und Sex und solchen Sachen.
Leone holte sich den preiswertesten Hollywoodstar, den er kriegen konnte, mehr gab sein Budget nicht her. Das war der 34jährige mittelbekannte Fernsehseriencowboy Clint Eastwood. Der Hauptdarsteller und sein Regisseur waren nicht völlig begeistert voneinander, doch als Profis arrangierten sie sich.
Leone zeigte sich etwas genervt von Eastwoods gleichbleibend verkniffen-ausdrucksloser Miene, und gerade die wurde schließlich zum Erkennungsmerkmal des zynischen, wortkargen ‚Fremden ohne Namen‘. Bei den beiden Nachfolgefilmen Für ein paar Dollar mehr und Zwei glorreiche Halunken verstanden die beiden sich schon eine Spur besser.
Der Produzent des ersten ‚Dollar‘-Films empfahl Leone einen jungen Komponisten, der seit einigen Jahren recht anständige FIlmmusik zustandebrachte. Leone, der Empfehlungen nicht liebte, ging ungern zu diesem Ennio Morricone – und wurde erfreut begrüßt. Morricone behauptete, sie seien alte Schulkameraden! Er konnte das sogar beweisen, mit einem Foto, das beide auf derselben Schulbank zeigte. Sie waren altersmäßig kaum zwei Monate voneinander entfernt, zwei Genies aus einer Klasse. Ihre erfolgreihe Zusammenarbeit hielt lebenslang.
So, wie der ausgefuchste Filmfachmann Sergio Leone, alles andere als ein unsicherer Anfänger, Sachen zeigte, die recht ungewöhnlich waren, so erfand Ennio Mirricone dazu die ganz passende, bis dahin im Kino unerhörte Musik.
Leone leistete sich in aller Ruhe extreme Großaufnahmen der Darsteller, Landschaftsaufnahmen von Gesichtern, Poren und Wimpern, endlose, wortlose Minuten, in denen praktisch nichts passierte. Bis dahin hieß eine eherne Regel, damit langweile man das Publikum. In Leones Filmen dienten diese gnadenlosen Pausen im Gegenteil dem Aufbau einer enormen Spannung. Morricones Musik, durchsetzt mit Pfeifen, Koyotengeheul oder dem Klang einer Maultrommel, untermalten diese Stimmung.
Kritiker blieben beim ersten Film der Dollar-Triologie skeptisch bis ungnädig. Das Publikum sah das ganz anders: Für eine Handvoll Dollar wurde ein grandioser Kassenerfolg. Im nächsten Jahr und im Jahr darauf entstanden die beiden Folgefilme der Triologie, Für ein paar Dollar mehr und Zwei glorreiche Halunken – und darüber hinaus rundherum Hunderte weniger guter, aber immer noch sehr beliebter ‚Spaghetti-Western‘ nach ähnlichem Muster. Sogar Hollywood konzipierte seine Wildwestfilme nun eher nach italienischem Rezept, schmutziger und zynischer.
Sergio Leone war nach seiner Triologie ziemlich satt vom Wilden Westen und wollte gern einen Film über das Gangstertum in den USA machen. Doch ein bestimmter Erfolg verpflichtet und lässt sich nicht so leicht abschütteln: Die Geldgeber wollten gern große Summen zahlen – für den nächsten Western.
Also fand der erste Teil der ‚Amerika‘-Triologie wieder im Wilden Westen statt: Spiel mir das Lied vom Tod mit Charles Bronson, Henry Fonda, Jason Robards und Claudia Cardinale, einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten.
Er lief in einigen Kinos jahrelang – jedenfalls in Europa. Hollywood meinte, das Werk stark beschneiden zu müssen. Die gekürzte Fassung ergab jedoch kaum noch Sinn und hatte auch den künstlerischen Zusammenhalt verloren. So war dieser Film (und auch seine beiden Nachfolger) in Amerika ein Kassenflop.
Sergio Leone drehte als Regisseur nur noch zwei weitere Filme,1971 Todesmelodie mit Rod Steiger und James Coburn und ein Jahr später Es war einmal in Amerika mit Robert de Niro. Der letzte Film kostete inzwischen 30 Millionen Dollar, wurde wieder von irgendwelchen Leuten, die meinte, es besser zu können und mehr Gewinn herauszuschlagen, um eine halbe Stunde gekürzt und zerschnippelt und galt als misslungen – bis Martin Scorsese ihn 2012 bei den Filmfestspielen in Cannes in einer restaurierten Fassung präsentierte. Inzwischen ist er ein bewunderter Klassiker.
Das hat der große Sergio Leone nicht mehr erlebt. Er starb 1989 mit gerade mal 60 Jahren an einem Herzinfarkt. Er erhielt übrigens lebenslang keinen Preis …
Glücksfaktor: Die Möglichkeit, kreativ zu sein, ohne dass andere Personen ihre Griffel in dein Werk stecken.