Talentsache


Ich hab das deutliche Gefühl, dass ich diesem Text etwas vorausschicken muss.

Und zwar die Überzeugung, dass ich keineswegs anfange, senil zu werden. Vielmehr war ich das schon immer. Meine Mutter hat’s nur anders genannt. Sie pflegte zu sagen, ich sei der schusseligste Mensch auf Gottes Erdboden. Sie rief von morgens bis abends: „Träumst du schon wieder?“-  und: „Wo hast du nur deine Gedanken?“

Als ich sehr jung zum ersten Mal verheiratet war, Redakteurin bei einer großen Illustrierten und überhaupt ganz cool (nur nannte man das noch nicht so) musste in der ersten Zeit, also fast noch in unseren Flitterwochen, genau dreimal der Schlosser kommen und unsere Wohnungstür aufbrechen, weil ich es schaffte, innerhalb weniger Wochen dreimal die Wohnung zu verlassen und die Tür hinter mir zuzuknallen, ohne den Schlüssel einzustecken. Vermutlich verdankte ich es tatsächlich nur der Flitterwochen-Tatsache, dass mein Mann mich nicht erwürgte.

Ja, und damals, in den 70ern, nahm meine beste Freundin mich in ihrem kleinen VW-Käfer mit nach Schweden. Wir aßen in einer Ratsstätte schwedische Fleischklößchen, bevor wir zwei Stunden lang durch einsame Wälder fuhren – und plötzlich fiel mir auf, dass meine Schuhe fehlten. Einfach weg. Sie kannte mich ja sehr gut und sie hatte mich gottseidank auch lieb – deshalb drehte sie seufzend das Auto um und fuhr die zwei Stunden zurück. Dort standen meine Schuhe vor der Ratsstätte auf dem Parkplatz, ordentlich nebeneinander. Ich war aus den Schuhen ins Auto gestiegen wie man aus  den Schuhen ins Bett steigt. Deshalb brauchten wir vier Stunden länger für unsere Tour.

‚Kannst du denn nicht aufpassen?!‘ sagt man zu Kindern. Zu Erwachsenen eher nicht mehr, da schweigt man taktvoll und verdreht nur die Augen. Im Übrigen: nein. Es hat nicht den geringsten Sinn, sich Mühe zu geben, aufzupassen. Ich weiß, wovon ich rede.

So, nun kommen wir zu dem, was ich eigentlich erzählen wollte. Ich bin nämlich nach der Geschichte vom perfekten Einparken jetzt sehr oft drauf angesprochen worden. Ist das wirklich so? Kann dein Löwe das? Nur mit der linken Hand und rechts mit einem Butterhörnchen? Es ist wirklich so.

Vor einem halben Jahr ungefähr,  bevor wir die kleine Berbel gegen Benny getauscht hatten, trat ich eines Morgens gut gelaunt aus der Haustür. Schönes Wetter, ein Herbsttag, ich wollte einkaufen fahren. Ich registrierte, dass beim Carport, hinter Lydias Auto, ein Wagen stand. Ich wusste sogar, wem er gehörte: einer bestimmten, sehr netten Patientin von ihr. Ich stieg lächelnd in die Berbel und fuhr rückwärts aus dem Carport.

Und jetzt passierte das, was immer keiner glauben kann. Ich war in Gedanken ganz, ganz woanders. Ich vergaß auf der Stelle das andere Auto – bis ich feststeckte. Es hatte ein wenig angenehmes Geräusch gegeben, als die beiden Rückspiegel sich ineinander verhakten. Ich stieg mit zitternden Knien aus, indem ich über den Beifahrersitz krabbelte. Dann beguckte ich die Sache. Ich hatte noch nie im Leben zwei derart aufeinander klebende Autos gesehen.

Ich klingelte Lydia und ihre Patientin heraus und beide kamen, betrachteten, was ich angerichtet hatte und sagten „Oh mein Gott!“ und solche Sachen. Wir gingen um die Autos herum und waren uns einig, dass man sie wahrscheinlich auseinandersägen musste. Oder jedenfalls mittels eines Hubschraubers voneinander trennen. Lydia ging ins Haus, um den ADAC anzurufen. Die Besitzerin des anderen Autos, die mich bis dahin, glaube ich, ganz sympathisch gefunden hatte, verkrampfte die Hände ineinander und stöhnte.

Wer erschien da am Horizont? Der Löwe, vom Nachtdienst aus Hamburg, mit elastischen Schritten, leuchtenden Augen und wehender Mähne. Ich warf mich ihm an den Hals und sagte: „Erschieß mich! Ich hab was angerichtet, das sieht so aus, als ob es furchtbar teuer wird!“

Der Löwe schritt zum Tatort, ging ebenfalls um die verkeilten Autos herum und meinte in bewunderndem Ton: „Alle Achtung! Wie hast du das denn hingekriegt?“

„Keine Ahnung. Muss ein Talent sein …“ sagte ich zerknirscht.

Ich folgte der bekümmerten Patientin in Lydias Wohnung, um zu sehen, ob der ADAC bald kommen würde. Er war jedoch, stellte sich heraus, ständig besetzt. Und das war klug von ihm, denn gleich darauf klingelte der Löwe und sagte, er hätte die Autos auseinander bekommen und wir sollten jetzt frühstücken.

Wir drei Mädels konnten es nicht glauben. Wir rannten nach draußen und sahen die Berbel unter dem Carport, völlig unversehrt, und das Auto der Patientin ganz allein – mit einem winzigen Kratzer an der Wange, unter dem Rückspiegel.

Ich rang nach Worten und fragte den Löwen schließlich: „Wie hast du das denn bloß hingekriegt?“ Und er grinste ein bisschen und meinte: „Keine Ahnung. Muss ein Talent sein …“ 

Ich schwöre, das ist eine vollkommen wahre Geschichte.

Lydia und ihre Patientin können sie bestätigen.

Glücksfaktor: Nicht wahr?


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