Worte und ihr Gebrauch sind dem Wandel unterworfen.
Vor tausend Jahren war eine geile Dirne ein übermütiges Frauenzimmer. Die Bezeichnung Dirne wandelte sich erst ab dem sechzehnten Jahrhundert zu etwas Schmuddeligem, verwandt mit der ‚Metze‘, der käuflichen Frau.
Der Begriff geil bedeutete ursprünglich kraftvoll, üppig, fröhlich, rutschte ab dem 15. Jahrhundert in Richtung lüstern und wurde mit dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zum Tabuwort. Wer es benutzte, wollte provozieren. In den 70er und noch mehr 80er Jahren glitt das Wort über genau diese provokative Eigenschaft zum Beteuerungswort hoch: „Das ist ja affengeil!“ Inzwischen hat der Ausdruck kaum noch etwas mit Sexualität zu tun. Jetzt ist Geiz geil – also das, was früher ‚toll‘ war und noch früher ‚knorke‘ oder ‚prima‘. Einfach positiv: „Wie geil ist das denn?“
Trotzdem bleibt ein wenig Schmutz daran, wenn das Wort vor allem auf die Begehrlichkeit anspielt und jemand beispielsweise als geldgeil beschrieben wird.
Geht es darum, Superlative zu betonen, dann wurde Anfang des letzten Jahrhunderts gesagt, jemand sei blödsinnig aufgeregt. Einige Jahrzehnte später wurde irrsinnig oder wahnsinnig daraus: „Ich würde wahnsinnig gern in diesen Film gehen!“
Ein Wort, dass relativ kürzlich eine Wandlung erfahren hat, ist spannend. Bis vor dreißig Jahren bedeutete es etwas Aufregendes, vielleicht Beunruhigendes, ein spannendes Buch, ein spannendes Sportereignis. Bereits ein spannendes Gespräch wäre so nicht bezeichnet worden; vor gar nicht langer Zeit wurde so was interessantes Gespräch genannt. Inzwischen hat ’spannend‘ nahezu vollständig die Funktion von ‚interessant‘ übernommen, zumindest umgangssprachlich.
Ich mag es nicht – ich leide an einer Überempfindlichkeit für Modeworte, sie schmerzen mich wie eine auf dem Teller kratzende Gabel. Mir sind Formulierungen sehr wichtig und ich feile und arbeite akribisch an meinen Texten. Das ist ein Privatspaß, kaum ein Leser hat Sinn dafür und bemerkt es.
Wenn ich also immer noch ungern den ’spannenden‘ Ausflug zur Kenntnis nehme, leide ich zurzeit unter dem zunehmenden Gebrauch des Wortes ‚unfassbar‘. Alles mögliche ist unfassbar, ein Verstärkungsbegriff wie damals ‚irre‘. Klar, um zu verdeutlichen, dass etwas herausragend anmutet, muss das eben brutalstmöglich und hammermäßig gesagt werden. Solange die allermeisten Menschen sich damit großartig verständigen können, sollte ich meinen Kummer über solche Worte für mich behalten. Ich verstehe ja, was sie bedeuten sollen.
Na ja, nicht immer. Erzählt mir jemand, er habe einen unfassbar spannenden Mann kennengelernt, dann stelle ich mir garantiert etwas anderes darunter vor, als gemeint ist …
Glücksfaktor: Worte, wie die Zeit und mit der Zeit, vergehen und machen anderen Platz, von denen wir es heute nie vermuten würden …