Vor ziemlich genau 34 Jahren, als mein Sohn eben 7 geworden war,


da waren wir gerade umgezogen, er und ich und die Katze Billie, und begannen unsere Karriere als Alleinerziehende.

Der neue Schulweg war gar nicht mal unkompliziert. Wir gingen ihn, während der Herbstferien, zweimal zusammen, dann meinte Arne, jetzt wüsste er Bescheid. Wirklich.

Am ersten Schultag marschierte er auch – ich schaute ihm aus dem Fenster hinterher – ganz flott in die richtige Richtung. Und weil er nicht ratlos umkehrte, und weil der Vormittag ruhig verging, meinte ich, alles wäre in Ordnung. Ich textete in dieser Zeit Katalogseiten. Keine schöne Arbeit, aber gut bezahlt.

Eine halbe Stunde vor Schulschluss ging ich in die Küche und bereitete das Mittagessen. Und dann wartete ich. Zuerst geduldig und gutgelaunt. Dann etwas unruhig. Dann nervös. Das Essen war fertig und wurde kalt – aber darum ging es natürlich nicht. Wo war das Kind? Was war passiert?!

Bestimmt gibt es nicht wenige siebenjährige Jungen, die aus Versehen die Zeit vergessen. Die sich verspielen oder vertrödeln. Arne war, mehr als alles andere, ein guter Kamerad. Er wusste, dass ich mittags Essen kochte und das war für ihn Grund genug, pünktlich nach Hause zu kommen. Wenn er also nicht pünktlich zu Hause war … Dann musste etwas passiert sein …

Ich kaute mir sämtliche Fingernägel ab und guckte aus allen Fenstern gleichzeitig. Ich betete. Ich überlegte, ob ich den Schulweg entlang laufen oder fahren sollte – doch wie, wenn er gerade ganz woanders herumirrte? Oder wenn er nach Hause kam, während ich nicht da war? Einen Schlüssel hatte er nicht …

Das dauerte eine der längsten Dreiviertelstunden, die mir jemals zugestoßen sind. Dann klingelte mein Telefon. Am anderen Ende war Arne – ein bisschen schluchzend, aber durchaus verständlich. Er sagte als Erstes: „Mir geht es gut!“ – dann hörte ich eine mir völlig fremde Frauenstimme, die mir erzählte, vor einigen Minuten hätte es an ihrer Tür geläutet und da stand ein kleiner Junge, der sich höflich entschuldigte und sie bat, ihr Telefon benutzen und seine Mutter anrufen zu dürfen. Er hätte sich auf dem Rückweg von der Schule leider verlaufen und wüsste durchaus nicht mehr, wo er sei. Und seine Mutter warte mit dem Essen und mache sich bestimmt Sorgen. Sie nannte mir ihre Adresse.

Ich flog die Treppe hinunter und in mein Auto und fuhr dort hin. Gleich darauf umarmten wir uns, mein kleiner Junge und ich, und heulten beide laut. Die fremde, nette Dame stand sehr gerührt daneben.

Dann fuhren wir den kurzen Weg nach Hause, ich wärmte das Essen noch einmal auf und nachmittags gingen wir den Schulweg erneut zusammen, diesmal, indem wir uns alle möglichen Eselsbrücken merkten.

Ja, das war im letzten Jahrhundert, bevor jedes Kind ein Handy hatte und bevor Kinder grundsätzlich zur Schule gefahren und wieder abgeholt wurden. Eine gefährliche Zeit. Was für ein Glück, dass wir sie überstanden haben.

Und ich möchte mal bemerken, dass ich immer noch finde, Arne hat damals ungewöhnlich smart und verständig gehandelt.

Glücksfaktor: s.o.

 

 


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