Steht ein Löwe in der Küche, guckt melancholisch aus dem Fenster in den ewigen Regen und sagt wehmütig: „Im Hunsrück scheint immer die Sonne!“

Tut sie keineswegs. Vielmehr handelt es sich hier um eine subjektive Wahrheit.
Wahrheit fasziniert mich insofern, als ich nicht an sie glaube.
Vor Gericht muss ein Zeuge häufig schwören, dass er die Wahrheit sagt und nichts als die Wahrheit. Dann legt er, falls er an Schwüre glaubt, die Ohren an und bemüht sich, ganz wahrhaftig zu sein.
Er soll beschreiben, wie der böse Kerl aussah, der die alte Dame zusammengeschlagen hat. Der Zeuge antwortet so ehrlich wie nur möglich: Der Kerl hatte eine schwarze Jacke an, er war groß und dick. Jawohl. (Das weiß er ganz genau, denn als er selbst ein kleiner Junge war, hat der der große dicke Ralf, der ihn gern verhauen hat, auch immer eine schwarze Jacke getragen.)
Dann zeigt man ein zufällig aufgenommenes Video. Darin erkennen wir, dass der böse Kerl durchaus eine schwarze Jacke trug. Indessen war er nicht groß und dick, sondern klein und dünn.
Der Zeuge hat seine eigene Wahrheit gesagt, nach bestem Wissen und Gewissen. Mehr kann keiner von uns sagen, und wenn er noch so ehrlich ist.
Jeder spricht nach Möglichkeit immer die reine Wahrheit. Seine eigene. (Niemand besitzt eine andere.)
Das achte Gebot verlangt mehr oder weniger Du sollst nicht lügen! Dem stimmt Jedermann zu. Das Missverständnis dabei: Es heißt keineswegs, du sollst alles in die Gegend blöken, was du weißt und was dir durch den Kopf geht.
Insbesondere hierzulande ist die Wahrheit eine heilige Angelegenheit. Man verachtet Diplomatie und überflüssige Freundlichkeit (das ist eine Ermessensfrage). Manchmal wird schon ein Lächeln beargwöhnt. Wer sich mürrisch gibt und anderen die Wahrheit ‚auf den Kopf zu‘ sagt, ist auf der sicheren Seite.
Immer raus damit, solange es die Wahrheit ist. Das muss der andere schon vertragen…
Glücksfaktor: Im Hunsrück scheint ganz oft die Sonne. Wirklich.