Warum haben die Menschen im 20. Jahrhundert eigentlich alle geraucht?


Wussten die nicht, dass es schädlich ist?

Doch, eigentlich schon. Es starben haufenweise Leute an Lungen- und Kehlkopfkrebs  – einige Anteile der kettenrauchenden englischen Königsfamilie zum Beispiel und viele, viele Filmschauspieler, also bekannte Menschen, die man dabei beobachten konnte, wie sie sich schadeten. Die Ärzte schüttelten milde den Kopf und rieten dazu, es zu reduzieren.

Der kopfrasierte (und damit ausgesprochen avantgardistische) Hollywoodstar Yil Brynner rauchte seine Lunge zu einem schwärzlichen Klumpen und ließ kurz vor seinem Tod 1985 noch in einem warnenden Dokumentarfilm die Menschheit wissen, was Zigaretten für ein Gift  sind.

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Es war irgendwie wissenschaftlich erwiesen, dass Rauchen nicht gut tat. Also das schon.

Trotzdem galt es einfach als völlig normal, zu qualmen. Jeder tat das. Überall standen Aschenbecher herum, in jedem Flugzeug, in jedem Zug befanden sich für alle Fahrggäste welche. In allen Wohnungen, in jedem Restaurant wurde selbstverständlich geraucht, vor dem Essen und nach dem Essen und notfalls zwischendurch. Dazu ging keiner vor die Tür oder auf den Balkon. In Büros wurde geraucht, in Autos qualmten die Eltern ihre keineswegs angeschnallten Kinder voll. In Schulen gab es Raucherzimmer für die älteren Schüler. Jeder bot jedem eine Zigarette an. Wenn man Gäste einlud, dann hatten welche auf dem Tisch zu liegen. Allüberall kräuselte sich der blaue Qualm. Jedem saß Nikotingeruch in den Klamotten und im Haar. Das merkte man kaum, weil man daran gewöhnt war.

Wie war das möglich??!!

Nun, da jeder es tat, schien es richtig zu sein.

Inzwischen, das weiß jetzt auch wieder jeder, ist es absolut falsch. Der durchschnittliche Tabakkonsum sank zwischen 1990 und 2014 um 55 %. Inzwischen dürfte der Verlust – zumindest in unserem Kulturkreis – noch schlimmer ausfallen. Durch Corona soll es für die arme Zigarettenindustrie ein wenig besser geworden sein, aber nicht viel. Wer wirklich noch raucht, darf sich ein bisschen schämen, muss raus und weg. Sogar an der frischen Luft wird er böse angeguckt, weil er dieselbe versaut. Kann er das denn nicht bitte einfach bleiben lassen?

Ja, und mich persönlich wundert, dass so viele Menschen noch Zucker essen.

Ist es nicht ziemlich bekannt, dass er nicht gut tut? Doch, ich glaube, das ist kein großes Geheimnis. Zwar wird häufig, wenn ich Zucker ablehne, vermutet, ich täte das nur der Figur zuliebe. Aber so eine diffuse Idee, dass  Zucker nicht nur dick macht, sondern darüber hinaus schadet, besteht schon. Trotzdem verzichtet kaum jemand darauf, außer Leuten, die sowieso nichts Süßes mögen.

Um allerdings Zucker zu sich zu nehmen, muss man nichts Süßes mögen. Er steckt in salziger Wurst, in sauren Gürkchen, in nahezu jeder Art von vorgefertigter Speise, in Fertiggerichten, in den leckeren Angeboten von Restaurants.

Langsam ist es immer mehr geworden. Darauf wird nicht besonders geachtet, auch nicht von denen, die mit Lesebrille das Kleingedruckte auf Packungen und Dosen oder Speisekarten studieren.

Es ist ohne weiteres möglich, glutenfrei zu essen oder Laktose zu vermeiden.

Ob Saccharose, Glukose, Fructose oder Maltose – oder wie das Zeug sich sonst verspseudonymt – irgendwo drin ist oder nicht, das interessiert wenige Verbraucher. Nebenbei bemerkt: Es ist nahezu immer drin. Es scheint normal, so wie früher Tabak.

Was soll daran so schlimm sein, wenn es doch jeder zu sich nimmt?

Über nahezu jedes Zuckerersatzmittel gibt es Studien, da passt die Zuckerindustrie auf. Hilfreiche ‚Experten‘ (das sind die Leute, die alles wissen) schreiben gern Artikel oder geben Interviews, in denen sie zusammenfassend erklären, na ja, dies und das sei eventuell ein ganz guter Zuckerersatz, aber nee – so richtig gesund ist das alles nicht. Dann doch lieber Zucker. Man kann ihn ja reduzieren.

Von Stevia hieß es anfangs, das sei krebserregend. Es durfte nur als ‚Badezusatz‘ über den Ladentisch gehen. Über alle anderen Süßungsarten gibt es im Grunde auch nur Kritisches zu berichten. Honig etwa kann Menschen umbringen, die eine entsprechende Allergie haben. Xylit ist ganz gefährlich, weil es unter Umständen die Leber angreift.  Kokosblütenzucker schadet offenbar ebenfalls, denn die WHO empfiehlt, davon höchsten 25 Gramm pro Tag zu sich zu nehmen.

Etwas putzig finde ich, dass eigentlich keine derartigen Studien über Haushaltszucker zu lesen sind.

In Krankenhäusern gibt es für die Patienten das normale Futter – also überall Zucker drin. Ich hörte kürzlich, dass Krankenkassen sich nicht für Ernährungsformen interessieren. Wozu auch? Für alles, was die Errnährung anrichtet, gibt es ja Medikamente.

Ich erinnere mich an mein Entsetzen, als mein Schwiegervater mir eine kleine Plexiglaskommode zeigte mit zwölf Schubladen, in denen sich seine Tagesration an Pillen und Tabletten befand. Ich fragte, ob sein Arzt ihm denn nicht geraten hätten, auf eine bestimmte Ernährung zu achten, doch das war nicht der Fall.

Krebszellen lieben und brauchen Zucker als Energiequelle und für ihre Zellteilung. Die gelingt ihnen umso schneller, je mehr Glukose sie bekommen. Wenn man für Experimente Krebszellen züchten will, sollte man ihnen ein Zuckerbettchen bereiten. Diese Tatsache ist nicht unbekannt – und trotzdem hörte ich mit gesträubten Haaren zu, als ein Bekannter mir erzählte, dass seine schwer krebskranke Frau mit Zucker regelrecht genudelt wurde. Wieso denn das?! Weil, erfuhr ich, sie diese geballte Energie aus dem Zucker benötigt, um die Kraft zu behalten, mithilfe der Chemotherapie den Krebs zu bekämpfen. Da sei das Eine halt wichtiger als das Andere. 

Deshalb weist die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) im Internet darauf hin, dass Krebspatienten eine ‚angemessene Ernährungstherapie‘ geliefert werden müsse, zu der ausdrücklich auch Haushaltszucker gehöre. Dadurch vertrügen sie nämlich die kräftezehrenden Therapien besser.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum, DKFZ, empfiehlt sowieso allen Nichtexperten, sich mal nicht das Köpfchen über solche Sachen wie ‚Krebsdiät‘ zu zerbrechen. Es stehe beispielsweise bisher nicht fest, ob Krebszellen wirklich auf den Entzug von Kohlenhydraten oder Zucker so empfindlich reagieren, wie es häufig propagiert wird.  

Zwar seien, weiß das DKFZ, Krebsdiäten ’nicht unbedingt gefährlich‘ – aber der Laie möge wohl doch im Prinzip lieber die Finger davon lassen. Es kursierten da so zweifelhafte Vorstellungen, etwa dass Zucker „giftig“ wäre.

Brustkrebspatientinnen rät das DKFZ davon ab, irgendeine Diät zu halten – sie sollten nur aufpassen, nicht zu sehr zu- oder abzunehmen. ‚Für Krebspatientinnen und Krebspatienten ist eine ausgewogene Ernährung mit allen Nährstoffen – und dazu gehören (ausdrücklich) auch Zucker und Kohlenhydrate allgemein – enorm wichtig‘.

Eigenartigerweise taucht in den Erklärungen der Experten nicht, wie sonst gern, die Formulierung auf, das sei ‚wissenschaftlich erwiesen‘. Stattdessen steht hier das ebenso überzeugende Argument, für Krebsdiäten fehlt die wissenschaftliche Grundlage. Also geforscht wird ja zweifellos viel und gern, nur offenbar nicht an der Frage, wie Ernährung sich auf den Körper auswirkt. Vielmehr gibt es diesem Thema gegenüber von Experten häufig ein etwas mitleidiges Lächeln. Ernährung mag ganz nett sein, gehört doch wohl aber eher in die esoterische Ecke.

So hätte vielleicht auch der Arzt meines Schwiegervaters auf Nachfrage, ob Zucker schädlich sei, milde den Kopf geschüttelt und dazu geraten, ihn etwas zu reduzieren – so wie sein Kollege vor sechzig Jahren zum Thema Zigaretten.

Wer kann in die Zukunft sehen? Seit zweihundert Jahren glauben wir allesamt, in kommenden Zeiten fliegen unsere Nachkommen in kleinen Luft-Taxis rum. Das kommt in jedem Science-Fiction-Film vor. Wie jedoch die Mode aussehen wird, welche Frisuren man trägt und mit welchem Genussmittel man sich dann schadet, das weiß keiner. 

Werden die Kinder unserer Enkel entsetzt fragen: „Habt ihr wirklich tote Tiere gegessen?“

Werden sie entsprechende alte Kochbücher zensieren oder verbieten?

Oder wird man eines Tages vielleicht fragen: Aber dieser ganze Zucker den ihr konsumiert habt! Wusstet ihr denn nicht, wie schädlich der ist?!

Glücksfaktor: Selber kaufen und selber kochen. Da weiß man, was drin ist.

 

 

 


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