Am 7. November des Jahres 1492, um die Mittagszeit, vernahmen die Leute im östlichen Frankreich ein lautes Donnern von obendrüber, und ein leuchtender Himmelskörper, der eine goldene Schleppe hinter sich herzog, raste über den Himmel, um schließlich in ein Weizenfeld im Elsaß zu plumpsen und ungefähr einen Meter tief stecken zu bleiben.
Ein ansehnlicher Rest des Klumpens (verständlicherweise wurden ihm nach dem Einschlag – und später immer wieder – einige Teilchen als Glücksbringer oder zu Forschungszwecken abgetrennt) liegt heute, immerhin noch etwa 56 kg schwer, im Musée de la Régence in Ensisheim.
Was wollte dieses Zeichen der Menschheit sagen? Dass eine neue Zeit anbrach vielleicht? Drei Wochen vorher hatte Columbus Amerika entdeckt – hatte es damit zu tun?
Der ‚Donnerstein von Ensisheim‘ wurde jedenfalls für sein rücksichtloses Benehmen bestraft. Der König und spätere Kaiser Maximilian I. von Österreich befand sich gerade in der Gegend
und nahm die Sache persönlich. Er hatte sowieso haufenweise Stress: Unter anderem steckten seine unzufriedenen flandrischen Untertanen ihn ein paar Monate in den Knast. Frankreich machte ihn seit langem wahnsinnig mit dem Gerangel um Macht und Länder. Es schien dringend nötig, günstige Verbindungen zu knüpfen. Also verlobte er sein Töchterchen Margarethe (vielleicht ungern, aber was nützte es) mit diesem miesen Kerl, dem König von Frankreich, Karl VIII. Zunächst mal symbolisch, denn die Kleine war noch ziemlich minderjährig. Einstweilen wurde sie am französischen Hof zur zukünftigen Königin ausgebildet.
Maximilians große Liebe, Maria von Burgund, war schon seit zehn Jahren tot, was ihn noch immer heftig schmerzte. Trotzdem hatte er kürzlich aus politischen Gründen die vierzehnjährige Anne, Herzogin der Bretagne, geheiratet. Diese Anne war enorm umschwärmt. Die Heiratsanträge pladderten von allen Seiten auf sie ein, so wie es in alten Märchen erzählt wird, wenn die Freier vom Ende der Welt herbeireiten, um die schöne Prinzessin zu zu erringen.
Dazu muss allerdings gesagt werden, dass es weniger ihre persönliche Schönheit war, die sie so erstrebenswert machte, als vielmehr die Bretagne. Anne selbst wirkt, zumindest in den Legenden, weniger liebreizend als vielmehr handfest und volkstümlich. Es gibt ein uraltes französisches Kinderlied, C’était Anne de Bretagne, duchesse en sabots: Das war Anne de Bretagne, Herzogin in Holzpantinen. Sie legte offenbar nicht besonders viel Wert auf höfische Kleidung und höfisches Getue. Ein Detail vor allem zeigt, wie wenig sie stilmäßig auf dem Laufenden war. Auf einem Gemälde ist die junge Herzogin mit roten Bäckchen und langen Wimpern dargestellt! Dabei ließ sich eine wirklich modische Dame der Oberschicht damals – Autsch! – die Wimpern auszupfen. Was die frische Gesichtsfarbe angeht – auch die war total out. Eine Frau von Welt machte ihr Gesicht mit einem bleihaltigem Brei vornehm bleich. Davon, weil wenig gesund, fielen übrigens meistens die Wimpern und Augenbrauen von selbst aus.
Obwohl also Anne nicht besonders der gängigen Mode entsprach, heiratete Maximilian sie trotzdem. Siehe Bretagne. Da er zu sehr beschäftigt gewesen war – er führte gerade Krieg mit Ungarn – hatte er an seiner Hochzeit allerdings selbst nicht teilgenommen. Stattdessen ließ er sich von Wolfgang, Freiherr von Polheim vertreten, der vor Publikum sein nacktes Bein stellvertretend in der Hochzeitsnacht mit Anne unter eine Decke steckte. Das nannte sich Per Procurationem und galt gesetzlich als vollzogene Ehe.
Leider wurde Maximilian fast ein Jahr lang daran gehindert, seine liebe Frau endlich real in die Arme zu schließen. Und als er endlich so weit war – da kam dieser miese Kerl, der König von Frankreich, Karl VIII, angerauscht, löste kurzerhand (und beleidigenderweise) seine Verlobung mit Maximilians Töchterchen Margarethe, schnappte sich Anne, ohne zu beachten, dass sie verheiratet war – um sie selber zu heiraten, und zwar richtig. Margarethe packte er ein und schickte sie zurück nach Hause. Anne war nun Königin von Frankreich und Maximilian stinksauer.
Jetzt kam auch noch so ein unverschämter Meteorit angesaust und knallte in seinen Elsaß, ohne um Erlaubnis zu fragen! Da Maximilian dem französischen König nicht an die Gurgel konnte (ihm fehlten die Finanzen für einen eigentlich fälligen Krieg), ließ er jedenfalls über den Himmelskörper zu Gericht sitzen.
Der Donnerstein wurde dazu verurteilt, in Ketten gelegt und in der Pfarrkirche zu Ensisheim aufgehängt zu werden. Das hatte er nun davon!
Glücksfaktor, für meine Begriffe: richtig vollzogene Ehen …