Drei wahre Geschichten:
1.
Der Onkel einer mir bekannten Familie galt als Meister des Feinschliffs in dieser Beziehung (er war übrigens tatsächlich Diplomat).
Bei einem Bankett ergab es sich, dass etwas Verdorbenes auf seinem Teller gelandet war. Er aß es restlos auf, ohne eine Miene zu verziehen. Darauf waren alle Familienmitglieder stolz: wohlerzogen bis zur Selbstvernichtung!
2.
Eine Tochter aus sehr reichem Haus. Mit ihr und ihrem damaligen Partner gingen wir hin und wieder in ein Restaurant. Sie bestellte jedes Mal eine Suppe, und jedes Mal sagte sie anschließend: „Und bringen sie bitte einige Eiswürfel mit! Ich mag keine heiße Suppe!“
Manche Kellner erfüllten den Wunsch ohne Reaktion, einige wunderten sich deutlich und fragten sogar nach. Mir kam es manchmal vor wie eine Art Eignungs-Test: als wollte die junge Dame prüfen, wie weit sie gehen konnte. Sie wechselte spöttische Blicke mit ihrem Begleiter und fühlte sich deutlich überlegen.
Und ich fühlte: wenn ich Koch in einem Restaurant wäre und ein Gast hat die Absicht, meine wohlabgeschmeckte Suppe mit Eiswürfeln zu verwässern, dann würde ich ihn ohne viel Worte beim Nackenfell nehmen und vor die Tür setzen. (Worauf ich vermutlich meinen Job los wäre…)
3.
Als ich fünfzehn war, bekam ich eine Einladung zum Essen bei einer wirklich, wirklich feinen Familie. Ich zog mein allerbestes Kleid an und das war wohlgetan, denn die Hausfrau glänzte in Goldbrokat und die Herren trugen Smoking, sogar der 16jährige Sohn des Hauses, der mir direkt gegenüber saß.
Ich aß Dinge, von denen ich teilweise nicht ahnte, ob es sich eher um Flora oder Fauna handelte und ich benutzte das Besteck rund um den Teller von außen nach innen, das hatte ich gelernt.
Doch in einem Fall war das unklar – ich ergriff einen komisch geformten Löffel und hoffte, er wäre das richtige Instrument für den aktuellen Gang. Als ich nach einer Weile umherschaute, bemerkte ich zweierlei: alle anderen Gäste benutzten eine Gabel. Nur der junge Mann mir gegenüber, der es doch ganz genau hätte wissen sollen, arbeitete mit demselben Gerät wie ich. Und nur wir beide hatten dann beim Dessert ein kleines Problem, denn jetzt fehlte uns der Löffel, mit dem es besser gegangen wäre.
Da begriff ich erst, dass er, damit ich mich nicht blamiert fühlte, bewusst denselben Fehler gemacht hatte wie ich…
Im Roman ‚Wer die Nachtigall stört‘ rügt Scout das Benehmen des kleinen Walter, der zu Besuch ist. Sie wird von der klugen Haushälterin Calpurnia belehrt: „Er ist unser Gast, und wenn es ihm einfällt, das Tischtuch zu essen, dann ist das in Ordnung!“
Gute Manieren sollten sich vor allem daran orientieren, dass ‚die anderen‘, ob Gastgeber oder Gast, sich wohlfühlen…
Glücksfaktor: Wenn man es bis auf den Grund zurückverfolgt, sind gute Manieren auch nichts anderes als Liebe!