Ich liebe Wölfe. Also bitte, ich hab sie schon geliebt, als das ganz unüblich war und sie nur die Bösewicht-Rolle im Märchen spielten. Inzwischen ist es ziemlich korrekt, sie zu lieben.
So breiten sie sich in Deutschland wieder ein wenig aus. Nun steht der böse Wolf ganz gewaltig unter Naturschutz. Man darf ihm allenfalls in Notwehr etwas tun und im Grunde noch nicht mal das. Übrigens ist es vermutlich auch politisch unkorrekt und diskriminierend, noch vom „bösen“ Wolf zu sprechen.
Es heißt, Menschen greife ein Wolf sowieso niemals an. Vielmehr fürchte er unsereinen. Zumindest, sofern er nicht weiß, dass er unter Naturschutz steht und kein Mensch ihm was tun darf. Immerhin könnte es sein, dass es dem Wolf über kurz oder lang auffällt.
Ein Argument für die Wieder-Ausbreitung der Isegrimms lautet, sie sorgen dafür, dass es nicht zuviel Rehe und Böcke und so weiter gibt. Und da müssten die Menschen sich doch freuen, weil auf diese Art das natürliche Gleichgewicht wiederhergestellt wird. Jäger freuen sich darüber weniger. Wenn es das natürliche Gleichgewicht wieder gibt, dann müssen sie sich nicht mehr darum kümmern. Und das war bisher eine vernünftige Entschuldigung für die Jagd.
Nun beschränken die Wölfe sich jedoch nicht darauf, aus Gleichgewichtsgründen kranke Rehe und altersschwache Böcke zu jagen. Vielmehr steht ihnen durchaus hin und wieder der Sinn nach zartem Lamm oder leckerem Geflügel. Ist ja alles vorhanden, wie im Supermarkt.
Und dann gibt es auch immer mal wieder einen entarteten Charakter, der nicht nur jagt, um den Hunger zu stillen oder seinen Welpen was zu bieten, sondern den der Blutrausch überkommt, die Wonne daran, alle kaputt zu machen, zwölf oder zwanzig Schafe. Um das dann nicht für schlechte Zeiten zu verbuddeln, sondern als blutiges Gemälde liegen zu lassen. Ganz menschlich irgendwie.

Ein Wolf ist nunmal ein wildes Tier; man kann platterdings nicht erwarten, dass er vor lauter Dankbarkeit für sein Wiederansiedeln bei uns zum Vegetarier wird. Oder zum vernunftsbetonten Asketen.
Frei rumlaufende Wölfe gibt es auch in anderen Gegenden der Welt, etwa in Amerika. Wenn sich dort einer ungebührlich benimmt, dann hat er wohl, wie früher, die Menschen zu fürchten. Dort bewahrt jeder seine eigene Wumme im Schlafzimmer auf, um sich gegen eventuelle Feinde zur Wehr zu setzen. Hierzulande verabscheuen wir so was. Wir sind nach Möglichkeit gerecht und nachsichtig, auch mit Tätern. Wir bedenken ihre harte Jugend oder ihre seelischen Zwänge.
Kürzlich ist ein wölfischer Rüpel in unserer Gegend entartet, er wurde zum Problemwolf und deshalb amtlicherseits zum Abschuss freigegeben. Aufheulen der Wolfsbefürworter: die Landwirte sollten gefälligst etwas mehr Draht um sich und ihre Herden herumwickeln. Der arme Wolf!
Entschuldigung – was ist mit den armen Schafen? Hier bei uns beispielsweise grasen die auf den Deichen. Sie halten dadurch die Grasnarbe nicht nur kurz, sondern auch die Graswurzeln solide und stabil. So bekommt der Deich Halt. Das ist nicht ganz unwichtig bei Sturmfluten. Es ist unmöglich, Deichschafe so einzuzäunen, dass sie vor Wolfsangriffen geschützt sind.
Und nun?
Im Augenblick werden Wölfe noch vor allem verteidigt. Die meisten sind doch brav! Sie ernähren sich von erlaubtem Wild und plündern höchstens mal Mülltonnen. Tut ihnen nichts, diesen schönen, prachtvollen wilden Geschöpfen. Sie folgen nur ihrem natürlichen Trieb. Und da die meisten von uns eben nicht Schäfer sind, tun wir ihnen nichts. Mal abgesehen von einigen trotzigen Jägern, die es sich leisten, so ein Miststück heimlich abzuknallen. Und abgesehen von Autofahrern, die ungleich mehr Wölfe umlegen, allerdings aus Versehen.
Aber es könnte passieren, dass dieses prachtvolle wilde Geschöpf Gefallen am leckeren, appetitlichen Geruch eines zwei- oder dreijährigen Menschenkindes findet. Damit dürfte die unendliche Nachsicht und die Freude an der Wiederkehr der Wölfe sich erledigt haben. Dann sagt man sicher wieder „böser“ Wolf. Dann werden sie vielleicht alle miteinander abgeschossen, auch die lieben Exemplare, die doch nur kranke Rehböcke verspeist haben. Dann tragen wir womöglich wieder Kragen aus Wolfsfell …
Glücksfaktor: Auf Übertreibungen zu verzichten. Wo keine Grenzen aufgezeigt werden, nimmt meist die Frechheit überhand – und alles ein böses Ende. Meine Mutter pflegte zu sagen „Man kriegt soviel geboten, wie man sich bieten lässt.“
2 Antworten zu “Wer hat Angst?”
Sehr weise Beobachtungen, Dagmar. Könnte man auch auf andere Bereiche unseres Zusammenlebens beziehen.
Ja, Liebe. Genauso war das auch gemeint …