Bin ich verschiedentlich gefragt worden und das war ja vorauszusehen.
Martje Flor also – ein kleines Mädchen, das es wohl wirklich gegeben hat und das in die Literatur eingegangen ist. Ich kenne drei Beispiele – aber vermutlich gibt es noch mehr.
Theodor Storm (Eine Halligfahrt):
Die Geschichte aber, welche demselben zugrunde liegt, verdient es, auch in weiteren Kreisen erzählt zu werden. Als nämlich Tönning, die große Stadt der Landschaft Eiderstedt, einst von den Schweden belagert wurde, hatte eine Gesellschaft feindlicher Offiziere in dem benachbarten Kathrinenbad Quartier genommen und trieb dort arge Wirtschaft; sie ließen sich Wein auftragen, zechten und lärmten, als seien sie die Herren hier. Martje Flor, die zehnjährige Tochter des Hauses, stand dabei und sah unwillig dem Gelage zu, denn sie gedachte ihrer Eltern, die das unter ihrem Dache dulden mußten. Da reichte einer der Trinker ihr ein volles Glas und rief, was sie so trübselig dastehe, sie solle lieber auch eine Gesundheit ausbringen! Und Martje trat mit dem Glase an den Tisch, wo die feindlichen Kriegsleute saßen, und sprach: »Dat et uns wohl ga up unse ole Dage!« – Und auf dieses Wort des Kindes wurde es still.
Seitdem versteht es jeder bei uns zu Hause, wenn am Schlusse des Mahles der Wirt es seinen Gästen zubringt: »Und nun noch – Martje Flors!«
Detlev von Liliencron (Martje Flors Trinkspruch)
Vor Tönning, auf Katharinenherd,
Zechen Steenbocks Offiziere.
Sie haben fleißig die Humpen geleert,
Der Weiser zeigt auf früh viere.
Durchs Fenster glüht das Morgenrot
Auf die trunknen Cavaliere,
Auf ihre Sturmhauben á la Don Quixote,
Die verschobnen Bandeliere.
Auf im Nacken schwankenden Federhut,
Auf Koller und spiegelnde Sporen,
Auf ihr in Hitze geratnes Blut,
Auf manchen „hochedelgeboren“.
Der eine hats Elend, der andere lacht,
Zwei haben den Pallasch gezogen,
Der stiert vor sich hin wie in Geistesnacht,
Der äfft nach den Fidelbogen.
Zwei andre halten Verbrüderungsfest,
„Herzbruder“ schwimmt im Pokale.
Und der unten am Tisch säuft Rest aus auf Rest
Und denkt an keine Finale.
Da tritt ein kleines Mädchen herein,
Und steht mitten im wüsten Quartiere.
Martje Flor ists, des Wirtes Töchterlein,
Zehn Jahr‘ nach dem Taufpapiere.
Sie nimmt das erste beste Glas
Und hebt sich auf die Zehe:
„Auf daß es im Alter, ich trink euch das,
Im Alter uns wohlergehe“.
Mit weit offnem Munde, mit bleichem Gesicht
Steht die ganze besoffne Bande
Und starrt entsetzt und rührt sich nicht,
Und steht wie am Abgrundsrande. –
In Schleswig denken sie heut noch erbost
An die schwedschen Klauen und Klingen
Und denken dankbar an Martjes Toast,
Wenn sie die Becher schwingen.
Kurt Tucholsky (Schloß Gripsholm)
»Das sind alles keine Trinksprüche, Daddy. Weißt du keinen andern? Du weißt einen andern. Na?«
Ich wußte, was sie meinte. »Martje Flor«, sagte ich.
»Martje Flor!«
Das war jene friesische Bauerntochter gewesen, die im Dreißigjährigen Kriege von den Landsknechten an den Tisch gezerrt wurde; sie hatten alles ausgeräubert, den Weinkeller und die Räucherkammer, die Obstbretter und den Wäscheschrank, und der Bauer stand daneben und rang die Hände. Roh hatten sie das Mädchen herbeigeholt – he! da stand sie, trotzig und gar nicht verängstigt. Sie sollte einen Trinkspruch ausbringen! Und warfen dem Bauern eine Flasche an den Kopf und drückten ihr ein volles Glas in die Hand.
Da hob Martje Flor Stimme und Glas, und es wurde ganz still in dem kleinen Zimmer, als sie ihre Worte sagte, und alle Niederdeutschen kennen sie.
»Up dat es uns wohl goh up unsre ohlen Tage –!« sagte sie.
Glücksfaktor: Worte.