Am 5. Februar 1818 starb der König von Schweden, Karl XIII. Daraus ergab sich eine ganze Menge. Beispielsweise kam sofort – Der König ist tot, es lebe der König! – sein Nachfolger auf den Thron, Karl XIV Johann. Der hieß früher Jean Baptiste Bernadotte, war der Sohn eines ganz bürgerlichen Rechtsanwalts aus Pau und selbst französischer General gewesen.

Schwedenkönig Karl besaß keine lebenden Nachkommen mehr und hatte deshalb den Franzosen, den er für charakterlich einwandfrei und zudem für einen vermutlich guten Staatsmann und Strategen hielt, adoptiert.
Wer gleichzeitig auf den Thron gelangte, war die Gattin des nagelneuen schwedischen Königs, eine zierliche schwarzlockige, schwarzäugige Dame namens Désirée, ebensowenig adelig wie ihr Mann, die Tochter eines Kaufmanns aus Marseille.

Diese Désirée hatte ein erstaunliches Schicksal. Es sah so aus, aus sei es ihr bestimmt, auf einem Thron zu landen, sie konnte sich drehen, wie sie wollte.
Sie war das jüngste von dreizehn Kindern und wuchs während der Schrecksherrschaft der Guillotine auf. Das Gerüst warf seinen Schatten auf die wohlhabende Familie. Einer ihrer Brüder wurde im September 1793 verhaftet, natürlich drohte ihm die Hinrichtung. Seine Frau flatterte zum Volksrepräsentanten, um ihm wortreich klar zu machen, dass alles auf einem Missverständnis beruhe und ihr Mann auf keinen Fall ein Volksfeind sei. Inzwischen schlief die sie begleitende sechzehnjährige Désirée im Warteraum auf einer Holzbank ein. Sie erwachte erst, als es dunkel wurde. Unterdessen hatte es ihre Schwägerin tatsächlich geschafft, ihren Mann aus dem Gefängnis frei zu bekommen und beide waren glücklich nach Hause geeilt – ohne die kleine Schwester. Die hatten sie vergessen.
Désirée wurde von einem freundlichen jungen Mann, der zufällig im Amtsgebäude zu tun hatte, aufgesammelt und nach Hause gebracht. Der fremde Herr hieß Joseph Bonaparte und sprach mit sympathischem, leicht italienischen Akzent, ein Korse. Während sie plaudernd nebeneinander hergingen, hatte Désirée eine Idee: Dieser Mensch wirkte freundlich, aber ein wenig langweilig. Er erinnerte sie an ihre Lieblingsschwester Julie, die war auch freundlich und langweilig. Und, zu ihrem eigenen Missvergnügen, noch unverheiratet. Insofern und vor lauter Dankbarkeit bat Désirée den netten Herrn Bonaparte dringlich noch mit ins Haus.
Es klappte sofort! Julie und Joseph schauten sich an und begannen, zu lächeln. Fortan besuchte der junge Herr Bonaparte die Familie Clary oft und gern. Leider konnte er mit Julie nie ungestört sein, um mal ein Küsschen zu tauschen. Ständig war diese niedliche, aber doch störende kleine Schwester um sie herum! Da hatte Joseph seinerseits eine Idee. Er brachte seinen jüngeren Bruder, den 24jährigen Napoleone (damals noch italienisch ausgesprochen, mit Betonung auf dem zweiten O und mitgesprochenem Abschluss-E), einen ehrgeizigen jungen General, mit zu den Clarys, um die Aufpasserin abzulenken.

Napoleone war alles andere als langweilig. Er und Désirée schauten sich an und lächelten. Im April 1795 verlobten sie sich. So gesehen hätte sie eines Tages auf dem französischen Kaiserthron landen können.
Doch Napoleon war eben ehrgeizig. Er wollte im ganz großen Stil Karriere machen. Désirée mochte ja sehr süß und temperamentvoll sein und sie würde eine stattliche Mitgift erhalten (Schwester Julie ebenso, die war längst mit Joseph verheiratet) – aber sie war eben ein bisschen sehr aus der Provinz. Da hatte er inzwischen in der Hauptstadt eine andere Frau kennengelernt, sechs Jahre älter als er – na und? Aber ganz große Klasse, mit sämtlichen Wassern gewaschen, eine Mode- und Gesellschaftsdame voller Raffinesse und Esprit: Joséphine de Beauharnais. Désirée schrieb ihm fortgesetzt hingebungsvolle, leidenschaftliche Briefe, die alle aussagten, sie sei unverbrüchlich die seine. Joséphine spielte sehr effektiv ‚Fang mich doch‘! Das reizte den Jäger. Er wusste nie, woran er mit ihr war.

Anfang September 1795 löste Napoleon nach einem knappen halben Jahr die Verlobung mit der kleinen Clary – brieflich. Er schrieb so etwa: „Liefere Dich dem Instinkt des Gefühls aus, der Wonne zu lieben. Wenn sich jemand einstellt, für den Dein Herz sich öffnet, bei dessen Anblick Dein Geist sich verwirrt und Deine Vernunft sich unterwirft, dann erleg Dir keinen Zwang auf. Liebe und sei glücklich.“
Désirée war zutiefst beleidigt. Natürlich erfuhr sie von Napoleons Hochzeit mit Josephine im folgenden März.
Richtig glücklich wurde der spätere Kaiser der Franzosen nicht mit seiner Josephine. Sie spielte weiter ‚Fang mich doch‘, und das war inzwischen nicht mehr reizend, es reizte nur noch. Nach und nach begriff Napoleon, dass dieses schillernde, nicht zu fassende Wesen sich ganz einfach nicht besonders viel aus ihm machte. Sie betrog ihn vielleicht, wer weiß? Er war ständig quälend eifersüchtig. Sie entzog sich, sie zeigte sich gelangweilt. Sie war möglicherweise einer der Gründe für seine ständigen Magenbeschwerden, für diese typische Haltung, in der er eine Hand beruhigend auf die schmerzende Stelle unter der aufgeknöpften Weste legte …
1798 heiratete Désirée Clary Jean Baptiste Bernadotte, bestimmt völlig zufällig genau einen Tag nach Napoleons Geburtstag Mitte August. So, das hatte dieser Korse davon! Bernadotte war riesig hoch gewachsen für seine Zeit, Napoleon etwa mittelgroß (und keineswegs klein, wie ihm oft nachgesagt wird), Bernadotte war bitte ebenfalls General und ehrgeizig und Irgendjemand hatte in Désirées Gegenwart bemerkt, er sei der Mann, um Napoleon die Stirn zu bieten! Wie auch immer das gemeint sein mochte.
Richtig glücklich war auch sie nicht in ihrer Ehe. Trotz ist sicherlich kein besonders guter Grund, zu heiraten.
1804 wurde Jean Baptiste Marschall von Frankreich. Am Tag der Kaiserkrönung von Napoleon stand er direkt neben dem Thron. Später ernannte der Kaiser ihn zum Fürsten von Ponte Corvo – und schrieb an seinen Bruder Joseph, er habe Bernadotte den Titel aus Hochachtung vor dessen Frau verliehen. Historiker argwöhnen allerdings, er hätte den Mann stets von sich fern gehalten und mit Titeln besänftigt. Vielleicht hatte auch er gehört, dieser Mensch würde ihm die Stirn bieten.
Mit der Adoption des schwedischen Königs hatte Napoleon allerdings nicht das Geringste zu tun.
Später wurden die beiden Männer wirklich Feinde und kämpften gegeneinander, in der Völkerschlacht bei Leipzig, 1813, an der Bernadotte als schwedischer Kronprinz gemeinsam mit Russland, Preußen und Österreich teilnahm. Da unterlag der französische Kaiser. Und bei seinem endgültigen Untergang, der Schlacht von Waterloo, ritt er zufällig auf einer Schimmelstute, die Désirée hieß …
Theoretisch war Désirée ab 1818 Königin. Praktisch eher nicht. Sie erlebte den schwedischen Winter lange vor der Klimaerwärmung, nichts als Schnee und Kälte. Sie fand das Hofzeremoniell doof, ebenfalls Kälte. Sie wurde dabei erwischt, wie sie über den spiegelglatten Boden eines Schloßsaals schlitterte – das erregte Befremden. Ihre Spontanität, ihr lautes, impulsives Lachen missfielen.
Désirée flüchtete. Ihr Mann hatte sowieso eine Geliebte, eine schwedische Hofdame, die bereits Mätresse seines Adoptivvaters, des alten Königs, gewesen war.
Sie ließ ihren kleinen Sohn Oscar, inzwischen nun der Kronprinz, bei seinem Vater und ging zurück nach Frankreich. Sie kam erst viele Jahre später nach Schweden zurück, als Oscar mit Mitte zwanzig heiratete. Sie hatte ihren Sohn seit elf Jahren nicht mehr gesehen.
Übrigens heiratete Oscar, der spätere König von Schweden und Ahnherr der heutigen Dynastie Bernadotte, eine sehr hübsche und liebenswürdige junge Frau, Prinzessin Josephine von Leuchtenberg. Und das war die Enkelin von Josephine Beauharnais …


Glücksfaktor: Schwer zu sagen. Sicherlich liegt das Glück nicht für jeden oder jede darin, auf einem Thron zu sitzen …