Am 10. November 1928 starb Anita Berber, die Sünde persönlich …


Sie lebte im Babylon Berlin der wilden 20er als die sprichwörtliche Babylonische Hure.

Sie starb, bevor sie dreißig wurde – und da war sie uralt. Einige Stunden vor ihrem Tod schminkte sie sich die Lippen tiefrot und tuschte kräftig ihre Wimpern.

Geboren in Leipzig, aufgewachsen in Dresden, aus großbürgerlicher, aber künstlerischer Familie: die Mutter Chansonsängerin, der Vater Geigenvirtuose. Beide ließen sich scheiden, als ihre kleine Anita zwei Jahre alt war, ein um die Jahrhundertwende nicht besonders verbreiteter Vorgang. Das Kind besuchte die höhere Töchterschule, aber nicht lange.

1914 zog sie nach Berlin: da gehörte sie hin. Sie nahm Tanz- und Schauspielunterricht, stritt sich jedoch mit der Tanzlehrerin bald auseinander, weil sie eigenwillige eigene Vorstellungen davon hegte, wie getanzt werden musste. Außerdem hatte sie generell gern Streit. Bereits vor Ende des ersten Weltkriegs war sie ein Star auf renommierten Berliner Bühnen wie dem Apollo-Theater oder dem Wintergarten. Eine Mischung aus Ballett (aber barfuß) und dem, das gerade aufkam und  ‚Ausdruckstanz‘ genannt wurde. In England und Amerika hieß es damals ‚German dance‘.

Mit 18 Jahren war Anita berühmt. Und das nicht nur wegen ihrer Tänze. Sie war Selbstdarstellerin, Mode-Ikone, Skandalnudel. Noch vor Marlene Dietrich erschien die Berber im Smoking und trug ein Monokel – bis dahin lediglich ein Utensil für den Herrn. Das mit dem Monokel machten ihr bald alle Lesben in der Stadt nach.

Ihr Ehrgeiz war, schlimmer als ihr Ruf zu sein, ihr Name (kein Künstlername) passende Überschrift für die wilde Person, ein Tag, an dem sie niemanden schockierte, ein verlorener Tag.

Anita Berber entsprach vollkommen dem Schönheitsideal ihrer Zeit mit superschlanken Hüften, wenig Busen und gerade genug Po, um drauf sitzen zu können: bloß keine Rundungen! Entsprechend androgyn sah ihr Gesicht aus mit dünnen, dunkel bemalten Lippen und ausgeprägtem, harten Kinn.

Sie heiratete dreimal, die beiden letzten Ehemänner waren Tänzer (mit denen sie auch gemeinsam auftrat) und homosexuell, denn mit Männern schlief Anita nur, wie sie erklärte, “ … um die Miete bezahlen zu können.“  Aber im Gegensatz zu nicht wenigen Frauen in der Weimarer Republik, die das ebenfalls nötig hatten, betrieb sie die Prostitution nicht heimlich und verschämt. Trat ein Mann nach dem Auftritt oder in einer Bar an sie heran und fragte mit gedämpfter Stimme, dann rief sie ihren Preis (200 Mark für einmal), vergewisserte sich, dass es jeder gehört hatte und hoffentlich schockiert war und zog mit dem Freier für eine halbe Stunde ab. Heterosex an sich galt in ihren Kreisen unbedingt als spießig; wer wollte schon normal sein?

Mit ihren Tanzpartnern und Ehemännern – beide spindeldürr und, im Vergleich zu Anita, bemerkenswert kinnlos – trat sie in gemeinsamen Produktionen auf, die Namen trugen wie Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Dabei reduzierten sich ihre Kostüme häufig auf den Kopfschmuck. Österreich, in dem die Künstler ein Gastspiel gaben, verbot sich solche Ferkeleien und wies sie aus dem Reich.

Anita trank am Tag eine Flasche Cognac und konsumierte den damaligen Stoff wie Morphium und natürlich Kokain. Da sie offenbar Einnahmen über die Miete hinaus verzeichnen konnte, besaß sie schönen Schmuck und einen echten Chinchilla-Mantel.

Mit dem Schmuck verzupfte sich ihr zweiter Gatte, der ja auch von irgendwas seine Drogen bezahlen wollte, und emigrierte nach Amerika. Im Mantel wohnte ihr Haustier, ein kreischendes Äffchen, das, wenn Anita  den Mantel  trug, gern den Kopf mit ihr gemeinsam aus dem Kragen steckte. Der kleine Affe lebte und starb im Chinchilla. Eines Tages rutschte er tot aus einem Ärmel. Die Tänzerin hatte ihn, vermutlich breit wie ein Bieberschwanz, aus Versehen zerquetscht.

Obwohl sie recht militant agierte –  sie biss einer Dame, die anderer Ansicht war, fast den gesamten Zeigefinger ab, verteilte gern Ohrfeigen und pieselte einem Mann der feinen Gesellschaft, von dem sie sich beleidigt fühlte, mit hochgerafftem Rock ein Seelein auf den Tisch – wussten Freunde nur Gutes über sie zu berichten. Demnach war Anita Berber herzlich, kindlich und liebevoll.

Klaus Mann schrieb ihr einen sehr freundlichen Nachruf in diesem Sinne, obwohl er sie, wie er selbst sagte, nicht besonders gut kennengelernt hatte. Abgesehen von einem Dreier mit ihr und ihrem zweiten Ehemann, zu dem sie ihn einlud, als er, 18jährig, im Sündenbabel eintraf. 

Als bei ihr galoppierende Schwindsucht festgestellt wurde, war sie schon beinah ein wenig aus der Mode gekommen …

Glücksfaktor, manchmal: ein eher langweiliges Leben.

 

 

 


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