Heute ist ein ganz großer Feiertag in Amerika: Independence-Day!
Am 4. Juli 1776 proklamierten die bis dahin dreizehn britischen Kolonien in Amerika ihren eigenen souveränen Staat und die Loslösung von Britannien.
Sie veröffentlichten ihre Unabhängigkeitserklärung, die damals höchst moderne philosophische Gedanken enthielt. Zum Beispiel das Naturrecht eines Volkes, eine alte durch eine neue Regierungsform zu ersetzen sowie das Recht auf Freiheit und ‚Glückseligkeit‘.
Allerdings galten diese Rechte zunächst ganz selbstverständlich nur für weiße, freie Männer.
Frauen, Sklaven und freie Schwarze waren erst mal bis auf Weiteres von Glückseligkeit und solchen Sachen ausgeschlossen…
Glücksfaktor: Bereits ab 1920 durften Frauen in den vereinigten Staaten wählen. Für Afroamerikaner dauerte das ein klein wenig länger. Ab 1965 hatten sie endgültig in ganz Amerika ihr Wahlrecht erkämpft.
Zumindest kann der Duft von Flieder, wenn er unvermutet zu uns spricht, aus einer Depression ziehen.
Er erzählt von Leben und davon, dass es immer weiter geht und dass es immer einen neuen Tag gibt und jedes Jahr einen neuen Frühling. Die Traurigkeit kann sich aus dem Schatten trauen, die Melancholie nochmal den Sargdeckel aufklappen und rausgucken.
Es gibt eine Reihe von Gerüchen, die ähnlich wirken, je nach Veranlagung und Geschmack: der von eben angebratenem frischen Knoblauch etwa oder der von einem aus dem Backofen gezogenen Apfelkuchen, Erdboden, der sich mit Regen vollsaugt, Holzfeuer oder der Parfumhauch aus Großmutters Mantel.
Manche Töne trösten und schalten ein paar tausend Watt ein in der Dunkelheit – Lieblingslieder, eine Amsel am Morgen, das Schnurren einer Katze, die tiefen Atemzüge eines schlafenden, geliebten Menschen.
Und es gibt Worte, bei denen sich die zerknautschten Blätter unserer Seele glätten und entfalten:
Viele Leute reisen nicht so gern allein – manchmal bis zu dem Punkt, dass sie eher zu Hause bleiben, als ohne Reisegefährten loszufahren.
Ich bin mein Leben lang sehr gern allein verreist. Es hat viel für sich! Man kann jederzeit planen, was man will – und die Pläne wieder umwerfen. Dort verweilen, wo es einem gefällt – und auf der Stelle abhauen, sobald es langweilig wird. Alles entspannt und ungestört aufnehmen. Ich bin überhaupt ganz gern mit mir allein. Man kann gut mit mir reden. Ich bin witzig …
Vor langer, langer Zeit – vor ungefähr 45 Jahren – sind der Löwe und ich nach Italien gefahren, genauer: in die Toskana und nach Umbrien. Im Spätsommer. Wir lieben beide diese Gegend. Wir haben die Landschaft bewundert und uns mit den sympathischen Italienern unterhalten.
Der Löwe speziell hatte gerade ein Buch von Hermann Hesse gelesen, ‚Bilder aus der Toskana‘, das ihn begeisterte und Lust machte, selbst dort zu wandern. Wir sind ziemlich genau zwei Wochen herumgestrolcht, ohne Auto, höchstens mit der jeweiligen Regionalbahn. Wir haben Pizza gegessen oder Spaghetti und Rotwein getrunken und all die Geschichte und Kultur aufgesaugt, die es in Italien so verschwenderisch an jeder Ecke gibt. Es war wunderschön und hat in uns eine unverwüstliche Liebe zu diesem Land entfacht.
Mehrere Italiener haben dem Löwen wegen seiner langen Haare gesagt, er sei ja wohl Jesus – „Gesù“- und dann haben alle sehr gelacht.
Also der Löwe und ich befanden uns vor ungefähr 45 Jahren beide in Italien? Obwohl wir uns bekanntlich erst vor einigen Jahren kennengelernt haben?
Doch, das ist wirklich so. Wir reisten an denselben Orten herum, auf nahezu dieselbe Art, im selben Monat.
Nur nicht im selben Jahr. Wir waren nicht gemeinsam unterwegs. Fast hätten wir uns treffen können. Aber leider war ich 1978 dort – und der Löwe ein Jahr später. Was wäre gewesen, falls wir in derselben Zeit in der Toscana herumreisten und uns womöglich begegnet wären?
Schwer zu sagen.
Wären wir uns aufgefallen? Sicherlich. Wir waren ja, gegenseitig, unser ‚Typ‘. Aber wären wir auch ins Gespräch gekommen? Hätten wir überhaupt etwas miteinander anfangen können?
Er hatte damals eine Freundin.
Und ich war ja seit einer Weile verheiratet. Ursprünglich wollten mein Mann und ich in diesem Sommer nach Italien und dann wahrscheinlich mit dem Auto. Aber er hatte zuviel zu tun, plötzlich ging das nicht. Das machte mich ziemlich wütend, also fuhr ich eben alleine. Und das hat ja, wie gesagt, auch viel für sich. Ich kam unter anderem mal in Ruhe zum Nachdenken und ich dachte darüber nach, ob ich wirklich mit meinem Mann zusammen bleiben wollte. Da war ich mir gar nicht sicher. Die Sache mit dem Geld machte mir zu schaffen. Natürlich kann man zuwenig haben. Aber man kann, meiner Ansicht nach, auch zuviel haben und es zu wichtig nehmen. Es hatte begonnen, uns zu entzweien.
Doch als ich nach Hause kam, da war die ganze Wohnung voller Rosen – sogar auf dem Gästeklo standen welche. Mein Mann hatte auch nachgedacht und sich dafür entschieden, einen neuen Anlauf zu nehmen. Im Jahr darauf bekam ich ein Baby und dann war ja auch alles noch viele Jahre ausgesprochen nett.
Insofern war es vielleicht günstig, dass der Löwe erst um einen Sommer verschoben in die Toskana reiste. Wer weiß das? Jedenfalls mussten wir es noch vierzig Jahre ohneeinander aushalten. Obwohl wir im Jahr 2008 gleichzeitig auf der Buchmesse in Leipzig waren. Und obwohl ich mich dreimal ein paar Tage oder sogar Wochen lang in Köln befand, als er da wohnte. Sogar relativ in seiner Gegend der Stadt. Keine Chance. Das Schicksal wird schon wissen, was es sich dabei gedacht hat. Damals waren wir zwar beide ganz charmant, aber nicht gerade einfach. Inzwischen sind wir altersmilde, duldsam und engelsgut.
In jedem Fall wird das Alleine-Reisen meistens unterschätzt. Lasst es uns heute feiern!
1. Glücksfaktor: Italien.
2. Glücksfaktor: Dass der Löwe und ich uns überhaupt irgendwo begegnet sind! Und dann auch noch beide als Singles …
Und mit diesem Text (die ‚persönlichen‘ wurden immer besonders gern gelesen), verabschiede ich mich erst mal. Der Blog, vor sieben Jahren begonnen, ist mein Lieblingskind geworden – und wurde nun gehacked. Er muss erstmal vom Netz genommen werden.
Doch, eigentlich schon. Es starben haufenweise Leute an Lungen- und Kehlkopfkrebs – einige Anteile der kettenrauchenden englischen Königsfamilie zum Beispiel und viele, viele Filmschauspieler, also bekannte Menschen, die man dabei beobachten konnte, wie sie sich schadeten. Die Ärzte schüttelten milde den Kopf und rieten dazu, es zu reduzieren.
Der kopfrasierte (und damit ausgesprochen avantgardistische) Hollywoodstar Yil Brynner rauchte seine Lunge zu einem schwärzlichen Klumpen und ließ kurz vor seinem Tod 1985 noch in einem warnenden Dokumentarfilm die Menschheit wissen, was Zigaretten für ein Gift sind.
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Es war irgendwie wissenschaftlich erwiesen, dass Rauchen nicht gut tat. Also das schon.
Trotzdem galt es einfach als völlig normal, zu qualmen. Jeder tat das. Überall standen Aschenbecher herum, in jedem Flugzeug, in jedem Zug befanden sich für alle Fahrggäste welche. In allen Wohnungen, in jedem Restaurant wurde selbstverständlich geraucht, vor dem Essen und nach dem Essen und notfalls zwischendurch. Dazu ging keiner vor die Tür oder auf den Balkon. In Büros wurde geraucht, in Autos qualmten die Eltern ihre keineswegs angeschnallten Kinder voll. In Schulen gab es Raucherzimmer für die älteren Schüler. Jeder bot jedem eine Zigarette an. Wenn man Gäste einlud, dann hatten welche auf dem Tisch zu liegen. Allüberall kräuselte sich der blaue Qualm. Jedem saß Nikotingeruch in den Klamotten und im Haar. Das merkte man kaum, weil man daran gewöhnt war.
Wie war das möglich??!!
Nun, da jeder es tat, schien es richtig zu sein.
Inzwischen, das weiß jetzt auch wieder jeder, ist es absolut falsch. Der durchschnittliche Tabakkonsum sank zwischen 1990 und 2014 um 55 %. Inzwischen dürfte der Verlust – zumindest in unserem Kulturkreis – noch schlimmer ausfallen. Durch Corona soll es für die arme Zigarettenindustrie ein wenig besser geworden sein, aber nicht viel. Wer wirklich noch raucht, darf sich ein bisschen schämen, muss raus und weg. Sogar an der frischen Luft wird er böse angeguckt, weil er dieselbe versaut. Kann er das denn nicht bitte einfach bleiben lassen?
Ja, und mich persönlich wundert, dass so viele Menschen noch Zucker essen.
Ist es nicht ziemlich bekannt, dass er nicht gut tut? Doch, ich glaube, das ist kein großes Geheimnis. Zwar wird häufig, wenn ich Zucker ablehne, vermutet, ich täte das nur der Figur zuliebe. Aber so eine diffuse Idee, dass Zucker nicht nur dick macht, sondern darüber hinaus schadet, besteht schon. Trotzdem verzichtet kaum jemand darauf, außer Leuten, die sowieso nichts Süßes mögen.
Um allerdings Zucker zu sich zu nehmen, muss man nichts Süßes mögen. Er steckt in salziger Wurst, in sauren Gürkchen, in nahezu jeder Art von vorgefertigter Speise, in Fertiggerichten, in den leckeren Angeboten von Restaurants.
Langsam ist es immer mehr geworden. Darauf wird nicht besonders geachtet, auch nicht von denen, die mit Lesebrille das Kleingedruckte auf Packungen und Dosen oder Speisekarten studieren.
Es ist ohne weiteres möglich, glutenfrei zu essen oder Laktose zu vermeiden.
Ob Saccharose, Glukose, Fructose oder Maltose – oder wie das Zeug sich sonst verspseudonymt – irgendwo drin ist oder nicht, das interessiert wenige Verbraucher. Nebenbei bemerkt: Es ist nahezu immer drin. Es scheint normal, so wie früher Tabak.
Was soll daran so schlimm sein, wenn es doch jeder zu sich nimmt?
Über nahezu jedes Zuckerersatzmittel gibt es Studien, da passt die Zuckerindustrie auf. Hilfreiche ‚Experten‘ (das sind die Leute, die alles wissen) schreiben gern Artikel oder geben Interviews, in denen sie zusammenfassend erklären, na ja, dies und das sei eventuell ein ganz guter Zuckerersatz, aber nee – so richtig gesund ist das alles nicht. Dann doch lieber Zucker. Man kann ihn ja reduzieren.
Von Stevia hieß es anfangs, das sei krebserregend. Es durfte nur als ‚Badezusatz‘ über den Ladentisch gehen. Über alle anderen Süßungsarten gibt es im Grunde auch nur Kritisches zu berichten. Honig etwa kann Menschen umbringen, die eine entsprechende Allergie haben. Xylit ist ganz gefährlich, weil es unter Umständen die Leber angreift. Kokosblütenzucker schadet offenbar ebenfalls, denn die WHO empfiehlt, davon höchsten 25 Gramm pro Tag zu sich zu nehmen.
Etwas putzig finde ich, dass eigentlich keine derartigen Studien über Haushaltszucker zu lesen sind.
In Krankenhäusern gibt es für die Patienten das normale Futter – also überall Zucker drin. Ich hörte kürzlich, dass Krankenkassen sich nicht für Ernährungsformen interessieren. Wozu auch? Für alles, was die Errnährung anrichtet, gibt es ja Medikamente.
Ich erinnere mich an mein Entsetzen, als mein Schwiegervater mir eine kleine Plexiglaskommode zeigte mit zwölf Schubladen, in denen sich seine Tagesration an Pillen und Tabletten befand. Ich fragte, ob sein Arzt ihm denn nicht geraten hätten, auf eine bestimmte Ernährung zu achten, doch das war nicht der Fall.
Krebszellen lieben und brauchen Zucker als Energiequelle und für ihre Zellteilung. Die gelingt ihnen umso schneller, je mehr Glukose sie bekommen. Wenn man für Experimente Krebszellen züchten will, sollte man ihnen ein Zuckerbettchen bereiten. Diese Tatsache ist nicht unbekannt – und trotzdem hörte ich mit gesträubten Haaren zu, als ein Bekannter mir erzählte, dass seine schwer krebskranke Frau mit Zucker regelrecht genudelt wurde. Wieso denn das?! Weil, erfuhr ich, sie diese geballte Energie aus dem Zucker benötigt, um die Kraft zu behalten, mithilfe der Chemotherapie den Krebs zu bekämpfen. Da sei das Eine halt wichtiger als das Andere.
Deshalb weist die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) im Internet darauf hin, dass Krebspatienten eine ‚angemessene Ernährungstherapie‘ geliefert werden müsse, zu der ausdrücklich auch Haushaltszucker gehöre. Dadurch vertrügen sie nämlich die kräftezehrenden Therapien besser.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum, DKFZ, empfiehlt sowieso allen Nichtexperten, sich mal nicht das Köpfchen über solche Sachen wie ‚Krebsdiät‘ zu zerbrechen. Es stehe beispielsweise bisher nicht fest, ob Krebszellen wirklich auf den Entzug von Kohlenhydraten oder Zucker so empfindlich reagieren, wie es häufig propagiert wird.
Zwar seien, weiß das DKFZ, Krebsdiäten ’nicht unbedingt gefährlich‘ – aber der Laie möge wohl doch im Prinzip lieber die Finger davon lassen. Es kursierten da so zweifelhafte Vorstellungen, etwa dass Zucker „giftig“ wäre.
Brustkrebspatientinnen rät das DKFZ davon ab, irgendeine Diät zu halten – sie sollten nur aufpassen, nicht zu sehr zu- oder abzunehmen. ‚Für Krebspatientinnen und Krebspatienten ist eine ausgewogene Ernährung mit allen Nährstoffen – und dazu gehören (ausdrücklich) auch Zucker und Kohlenhydrate allgemein – enorm wichtig‘.
Eigenartigerweise taucht in den Erklärungen der Experten nicht, wie sonst gern, die Formulierung auf, das sei ‚wissenschaftlich erwiesen‘. Stattdessen steht hier das ebenso überzeugende Argument, für Krebsdiäten fehlt die wissenschaftliche Grundlage. Also geforscht wird ja zweifellos viel und gern, nur offenbar nicht an der Frage, wie Ernährung sich auf den Körper auswirkt. Vielmehr gibt es diesem Thema gegenüber von Experten häufig ein etwas mitleidiges Lächeln. Ernährung mag ganz nett sein, gehört doch wohl aber eher in die esoterische Ecke.
So hätte vielleicht auch der Arzt meines Schwiegervaters auf Nachfrage, ob Zucker schädlich sei, milde den Kopf geschüttelt und dazu geraten, ihn etwas zu reduzieren – so wie sein Kollege vor sechzig Jahren zum Thema Zigaretten.
Wer kann in die Zukunft sehen? Seit zweihundert Jahren glauben wir allesamt, in kommenden Zeiten fliegen unsere Nachkommen in kleinen Luft-Taxis rum. Das kommt in jedem Science-Fiction-Film vor. Wie jedoch die Mode aussehen wird, welche Frisuren man trägt und mit welchem Genussmittel man sich dann schadet, das weiß keiner.
Werden die Kinder unserer Enkel entsetzt fragen: „Habt ihr wirklich tote Tiere gegessen?“
Werden sie entsprechende alte Kochbücher zensieren oder verbieten?
Oder wird man eines Tages vielleicht fragen: Aber dieser ganze Zucker den ihr konsumiert habt! Wusstet ihr denn nicht, wie schädlich der ist?!
Glücksfaktor: Selber kaufen und selber kochen. Da weiß man, was drin ist.
Die Braut hieß Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. Als die beiden sich zum ersten Mal begegnete, war sie zehn und er elf. Zwölf Jahre später verlobten sie sich, obwohl die Braut als nicht ganz ebenbürtig galt. Sie waren, etwas entfernte, Kusin und Kusine, Nachkommen der britischen Königin Viktoria, die Europas Throne mit ihren Nachkommen überschwemmt hat.
Sieben Jahre später war Auguste Kaiserin.
1888 ist als das Dreikaiserjahr bekannt: Am 9. März starb Kaiser Wilhelm der Erste, und dazu hatte er wirklich jedes Recht. Zwei Wochen später wäre er 91 geworden, für seine Generation ein unglaublich gesegnetes Alter. In den letzten zehn Lebensjahren plagten ihn immer wiederkehrende Erkältungen, erkrankte er an den Pocken und wäre fast durch ein Attentat ins Jenseits befördert worden. Weil dasselbe jedoch an einem regnerischen Tag stattfand, hatte der Zünder versagt. Ihn übrigens besingt das schöne Lied: „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder ham – aber den mit Bart!“ (Denn dem alten Kaiser flockte ein Backenbart auf die Schultern, während sein Enkel, Augustes Gatte Wilhelm II., nur so einen Schnurr- und Pieksebart unter der Nase trug.)
Wilhelms Sohn Friedrich, bärtiger als jeder andere, folgte also auf den Thron, mit 56 Jahren schon ein ziemlich alter Herr, der lebenslang darauf gewartet hatte, den einzigen ihm möglichen Job antreten zu können. Leider war er noch viel kränker als sein Vater. Er litt, als starker Raucher, an Kehlkopfkrebs und blieb nach einem Luftröhrenschnitt Anfang Februar stumm. Ein Kaiser, der nicht sprechen kann, ist stark gehandicapt. Friedrich III. regierte etwas mehr als drei Monate, weshalb er im Geschichtsunterricht der 99-Tage-Kaiser genannt wurde.
Nach seinem Tod am 15. Juni 1888 übernahm Kronprinz Wilhelm (also der II. und übrigens auch der letzte, der mit dem Pieksebart) die Regierung des Vaterlandes. Er war nicht so ganz furchtbar helle, aber ein bildschöner Kerl mit blitzblauen Augen. Beim hingerissenen Volk hieß er ‚unser herrlicher junger Kaiser‘ und es wurde allgemein angenommen, dass jedes vernünftige Ausland uns um ihn beneidete.
Fast hundert Jahre lang warf man ihm vor, er allein habe den 1. Weltkrieg angezettelt. Inzwischen sind sich die Experten da nicht mehr ganz so sicher. Auf jeden Fall war er atemberaubend undiplomatisch und hüpfte von Fettnapf zu Fettnapf. Auguste konnte manchmal ein bisschen ausbügeln, was ihr Gemahl angerichtet hatte.
Das Kaiserpaar bekam sieben Kinder, sechs Jungen und ein kleines Mädchen. Hier sehen wir den Kaiser (ganz links) in einer Reihe mit seinen durchweg militärischen Söhnen bei einer Parade in Berlin marschieren. Seine Tochter stand vermutlich jubelnd am Straßenrand.
Mit dem Kriegsende überkamen den Kaiser Depressionen, er stand manchmal tagelang nicht auf – bis seine Frau ihn aus den Federn scheuchte und aufforderte, auf der Stelle weiterzumachen. Es heißt, ohne ihre Bemühungen wäre der erste Weltkrieg einige Monate eher zuende gewesen. Überliefert ist, dass sie Anfang November 1918 den Reichskanzler Max von Baden am Telefon scharf zusammenstauchte, als er zu Kapitulation und Rücktritt riet. Sie drohte ihm damit, seine Homosexualität öffentlich zu machen, wenn er nicht parierte und dabei half, den Krieg noch einmal anzuheizen. Der arme Reichskanzler erlitt nach diesem Gespräch einen Nervenzusammenbruch samt Kreislaufkollaps und bedurfte ärztlicher Hilfe. Nachdem er sich erholt hatte, verkündete Max tapfer auf eigene Verantwortung und ohne weitere Rücksprache mit dem Kaiserpaar die Abdankung des Herrschers. Der war inzwischen übrigens sowieso nach Belgien getürmt.
Kein halbes Jahr später starb die Kaiserin, gerade 62 Jahre alt. Kurz vor ihrem Tod sagte sie: „Ich darf nicht sterben, ich kann doch den Kaiser nicht allein lassen.“
Ihr Gatte meinte, es sei vor allem der Verlust des Throns gewesen, der ihr den Lebensmut nahm. Tief verstört hatte Auguste jedoch auch der Selbstmord ihres Lieblingssohns Joachim. Der erschoss sich, nachdem seine Frau ihn mit einem Hochstapler betrog. Keineswegs aus Herzensjammer – die Ehe war überhaupt nicht glücklich gewesen – sondern, weil ihm sein Vater, der Exkaiser, verbot, sich von dieser Frau scheiden zu lassen …
Der Witwer Wilhelm der Letzte, inzwischen vollbärtig wie sein Vater, beschäftigte sich im Exil überwiegend damit, Bäume umzuhacken. Ungefähr anderthalb Jahre nach Augustes Tod heiratete er zur Entrüstung des romantisch-royalistischen Publikums noch einmal, nämlich Hermine, Prinzessin Reuß. Er war inzwischen 63, die neue Nicht-ganz-Kaiserin 35.
Sie bestand überwiegend aus Augenbrauen (was ihr aktuell gerade viel Beifall bringen würde), Disziplin und Ordnungsliebe, kam nicht allzugut mit den Kindern ihres Gemahls aus und hielt die Exil-Residenz auf Zack.
Beobachter stellten fest, dass der Exkaiser Hermine viel freundlicher und respektvoller behandelte
als Auguste, die er häufig in Gegenwart anderer schroff angeraunzt hatte.
Die erste Ehe des letzten deutschen Kaisers dauerte 40 Jahre, die zweite, die kinderlos blieb, nicht einmal halb so lange.
Wilhelm starb 1941 im Exil, Hermine, gebeutelt durch den 2. Weltkrieg, 1947.
Glücksfaktor: ein nicht schroff raunzender Ehemann …
Sie war die Tochter eines Sir Winston Churchill – ja, natürlich eines Vorfahren des später so berühmten Premierministers. Ihr Bruder war übrigens ein Urahn von Diana Spencer, Königin der Herzen.
Als Arabella siebzehn war, begann James, der jüngere Bruder und Thronfolger des aktuellen englischen Königs (das war Charles II.), eine ausdauernde Affäre mit ihr. James war fünfzehn Jahre älter als Arabella, ziemlich attraktiv, mit der (zu ihrem Unglück überaus eifersüchtigen) Anne Hyde verheiratet – und ein heilloser Schürzenjäger.
Praktischerweise befand Miss Churchill sich als Hofdame von Anne Hyde jederzeit in greifbarer Nähe für den Thronfolger. Daraus ergab sich, dass sie innerhalb kürzester Zeit eine Tochter von James bekam, der drei weitere Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, innerhalb von sieben Jahren folgten. Alle Kinder erhielten den ehrenvollen Nachnamen FitzJames – zwar nicht ehelich, aber von enorm blauem Blut.
Über Arabella urteilten ihre Zeitgenossen – die Kritiker vom Hofe – sie hätte ein Gesicht wie Haferbrei, sei zu groß und zu dünn, geradezu Haut und Knochen. James‘ schönheitsdurstiger Bruder, König Charles, fragte ihn, ob sein Beichtvater ihm etwa hässliche Frauen zur Buße auferlegt hätte.
Arabella wurde wegen ihrer mangelnden Schönheit verspottet – bis sie eines Tages, hoppla, vor versammeltem Hofstaat vom Pferd fiel. Dabei zeigte sie offenbar makellos schöne Beine, was sie rehabilitierte. Ein Zeitzeuge hielt es ‚kaum für möglich, dass derart perfekte Glieder zu diesem Gesicht gehören konnten‘.
Tatsächlich wird angenommen, dass es vor allem ihre Intelligenz und ihr Witz waren, die James zehn Jahre lang fesselten. Danach war sie, mit 27, eine Frau in mittleren Jahren, zu alt für den Job als Mätresse, und wurde abserviert.
Einige Jahre später heiratete sie, ob wegen ihrer Traumbeine, ihrer Eloquenz oder weil sie immerhin die Geliebte des inzwischen aktuellen Königs gewesen war, einen etwa gleichaltrigen höheren Offizier und schenkte ihm zwei weitere Kinder. Die Ehe soll sehr glücklich gewesen sein, wenn man davon absieht, dass ihr Gatte ungefähr 34 Jahre später so taktlos war, ausgerechnet an ihrem Geburtstag, dem sechsundsechzigsten, zu sterben, am 23. Februar 1714.
Immerhin lebte Arabella noch sechzehn weitere Jahre, freute sich an ihren Kindern, erlebte aus sicherer Entfernung mit, wie ihr ehemaliger Geliebter, König James, wegen seiner katholischen Neigungen abgesetzt und durch seinen Neffen William ersetzt wurde und starb im gesegneten Alter von 82 Jahren.
Glücksfaktor: zur Historie zu gehören, ohne in ihr unterzugehen.
vor der Küste von Nova Scotia in einem Schneesturm. Sie nahm alle Menschen an Bord, 80 Mann Besatzung und 125 Passagiere (davon 45 feine Leute der ersten Klasse), mit in die Tiefe, keiner konnte gerettet werden.
Bei ihrem Untergang war die Hungarian kaum anderthalb Jahre alt, ein schönes, schlankes Passagierschiff der kanadisch-britischen Reederei Allan Line. Einige Monate vorher, im November1859, befand sich das Schiff schon einmal in einem starken Sturm mit hohem Seegang vor den Neufundlandbänken und hatte die Menschen von einem anderen Boot retten können – eigentlich sogar noch mehr, denn an Bord des britische Schones John Martin befanden sich Schiffbrüchige eines weiteren Schoners, der vor Labrador havariert war.
Bei dieser Rettung wurde übrigens der erste Offizier, als er den Menschen helfen wollte, an Bord der Hungarian zu kommen, von einer mächtigen Welle ins Wasser gespült. Zwar konnte er nicht schwimmen, doch hielt er sich eisern an einem Tau fest, das an der Reeling befestigt war, und war so in der Lage, sich selbst wieder auf das Schiff ziehen.
Nun befand sich der Dampfer auf seiner dritten Überfahrt von Liverpool nach Kanada erneut in dieser Gegend, in der Schiffsuntergänge so oft vorkamen, dass sie von Seeleuten Graveyard of the Atlantic, also Friedhof des Atlantiks, genannt wurde. Außer den Passagieren war einiges an Fracht und Post zu transportieren.
Heftiges Schneetreiben, Sturm und hoher Wellengang machten der Hungarian am Abend des 19. Februar 1860 sehr zu schaffen. Das Schiff wurde auf die Klippen zu gedrückt – und von ihnen aufgeschlitzt.
Rundum an Land befanden sich Menschen, die das Boot wohl sehen konnten. Sie erkannten sogar Lichter – und Menschen an Bord, die sich an der Takelage festklammerten. Bemerkt zu sein nutzte in diesem Fall jedoch nichts, weil sich bei der schweren See ebensowenig ein Rettungsboot von Land aus zum Schiff bewegen konnte, wie es Sinn ergab, die Rettungsboote von der Hungarian herunter zu lassen. Gegen zehn Uhr am nächsten Morgen versank der letzte Überrest und nahm alle Seelen an Bord mit sich.
Der Sturm dauerte eine knappe Woche an. Erst sechs Tage später erlaubte es das Wetter wieder, sich der Unglücksstelle zu nähern. In einem der kieloben treibenden, teilweise zerstört umherirrenden und angespülten Rettungsbooten der Hungarian fand sich das Tagebuch eines englischen jungen Mädchens, Elizabeth Louden, die offenbar eine Nachricht an ihre Mutter in England geschrieben hatte. Der letzte Eintrag lautete: „Lizzie Dies Tonight“: Lizzie stirbt heute Nacht.
Der damals (und heute noch) sehr berühmte amerikanische Songwriter Stephen Collins Foster – Autor von unsterblichen Weisen wie ‚Oh! Susanna!‘ – machte daraus ein furchtbar schmalziges Lied, das die Zuhörern spontan zu ihren Taschentüchern greifen ließ.
Hätte an Land hinter den gefährlichen Klippen ein Leuchttturm gestanden, dann wäre trotz des Wetters vielleicht die zu große Nähe entdeckt worden und das Unglück hätte verhindert werden können.
Ein Jahr später, 1861, baute man deshalb auf Cape-Sable-Island genau diesen Leuchtturm …
Sich über etwas aufzuregen, das andere anstellen und das man selbst viel besser könnte oder überhaupt bleiben lassen würde, verleiht ein wunderbares Gefühl der Überlegenheit: den Kopfschüttel-Aspekt.
Mir ist aufgefallen, dass in der letzten Zeit vor allem zwei Sorten von Video Beiträgen in den ‚Sozialen Netzwerken‘ immer wieder dafür sorgen, dass der Betrachter ganz glücklich wird, weil er so was Empörendes lange nicht gesehen hat.
Das stimmt ja nun nicht so ganz, weil es, wie gesagt, inzwischen ziemlich häufig zu sehen ist. Aber noch wirkt es offenbar genug, um Tausende von Klicks – oder Meinungen – zu bringen.
Das ist zum Einen ein Opfer mit meistens besonders schönem, gesundem, langem Haar, das auf einen Friseurstuhl gesetzt wird. Manchmal geschieht das ganze Drama wortlos, aber häufig wird auch erklärt, das Opfer sei gerade wegen eines miesen Aussehens vom Partner verlassen – aus der Stellung gemobbt – gar nicht erst eingestellt worden. Nun also sollte der Friseur das Schicksal ändern und er greift zur Schere, um am Haar herumzuschnippeln, derart, dass den Zuschauer das kalte Grausen überfällt. (Mich besonders, weil ich kurzes Haar nicht mag.)
Zuerst wirkt es noch so, als könne was draus werden – der Friseur macht es spannend – aber er beruhigt sich nicht, er hört nicht auf, bis er fast die Schädeldecke erreicht hat und noch etwas rasieren kann.
Oder die verbliebenen traurigen Fransen in irgendeine Art von Frisur quält, meist asymmetrisch, ein kleiner Wusch über einem Auge, das andere Ohr kahl.
Nächster Akt: Das Opfer springt strahlend auf, beschaut sich mit Freudentränen im Spiegel, knutscht den Friseur ab – und wir erfahren, nach dieser Tat des Grauens bekam derjenige oder diejenige nicht nur den ersehnten Posten, sondern wurde gleich Abteilungsleiter, und der Partner kehrte auch sofort reumütig zurück.
Reaktion der User: Um Himmels Willen – wie konnte er nur!
Ganz oft:Ich würde den Friseur verklagen!
Auch häufig: Das kriegt sie niemals selbst wieder so gestylt! Einmal drauf geschlafen und alles ist im Eimer.
Einige wenige, die vielleicht provozieren wollen, behaupten, das sei doch sehr schick.
So, und das andere Drama beginnt mit der Behauptung, hier komme ein besonders leckeres/einfaches/gesundes Rezept.
Es scheint sich dabei nicht um die gewöhnliche Menge ‚für 4 Personen‘, sondern eher um die für einen Gesangverein oder eine kleine Firma zu handeln. Manchmal rührt die Köchin alles in ihrem Edelstahl-Küchenbecken an. Das ist natürlich besonders schockierend, weil jeder weiß, dass sich in einer geputzten Kloschüssel weniger Bazillen & Co befinden als in einem noch so geschrubbten Edelstahl-Küchenbecken. Hier haben wir also bereits das erwünschte ‚Igitt‘-Gefühl.
Die Köchin wirft aus Leibeskräften Lebensmittel zusammen – alles aus Packungen und Dosen, bloß nix Frisches. Ab und zu streicht sie mit beiden Händen alles ein wenig platt, um Platz für weitere Zutaten zu schaffen. Immer ist mindestens ein ganzes Paket Butter dabei, ein Laib Käse in großen Stücken sowie eine Riesenpackung geriebener Cheddar-Käse. Manchmal ein Pfund in Scheiben geschnittener Schinken oder ein Kilo Würstchen.
Es entsteht zwingend der Eindruck, dass es darum geht, Irgendwen so schnell wie möglich zu mästen – eventuell ein Lebewesen, das in kürzester Zeit gegen einen Sumo-Ringer antreten soll und dem dazu noch ganz schön viel Gewicht fehlt. Gewürzt wird mit Salz, Pfeffer und Ahornsirup, eine halbe Flasche, dann mit beiden Händen alles in eine Riesenform umgeschichtet – und rein in den Backofen. Schließlich bekommen wir das Ergebnis präsentiert, das auf jeden Fall vor Hitze blubbert und sprudelnd seine fettige Seite zeigt.
(Ich möchte zu meiner Entschuldigung sagen: Ich habe kein entsprechendes Foto im Netz gefunden. Dies hier stimmt eigentlich nur insofern, dass es käseüberbacken ist. Ansonsten erkenne ich frische Zutaten, und die finden in den Video-Gruselrezepten nicht statt.)
Echo der Betrachter: Im Küchenbecken!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Oder: Mir wird übel!
Häufig auch: Und das soll also gesund sein? Das reicht für eine solide Cholesterin-Vergiftung!
Oft stehen die ersten zweitausend Meinungen in Englisch da und wechseln dann zum Deutschen. Die sagen dasselbe, nur auf Deutsch.
Ich habe ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu ihr. Den Geschmack von Marzipan mag ich nicht, weshalb ich auch wenig anfangen kann mit Mandelmilch oder Mandelmus, beides häufig verwendet in der veganen Küche.
Die Mandel selbst allerdings begleitet mich seit ungefähr fünfunddreißig Jahren. Damals las ich irgendwo, wer täglich 8 – 10 frische Mandelkerne verspeist, der erfreue sich lebenslang bester Gesundheit. Seitdem gehören sie zu meinem täglichen Frühstück. Vor etwa 3o Jahren fiel mir eine dieser Mandeln in meinen Morgentee, und weil ich es gerade sehr eilig hatte, ließ ich den Tee-Rest in der Tasse und rannte zu meinem Termin, der den ganzen Tag dauerte. Abends kam ich zurück, räumte auf und stellte fest, dass sich die ertrunkene Mandel inzwischen verändert hatte. Sie war nun dickbäuchig und knackig! Offenbar hatte sie Einiges an Tee zu sich genommen. Ich kostete sie vorsichtig – und war begeistert. Sie schmeckte um Längen besser als ihre uneingeweichten Schwestern, süßer, saftiger und frischer.
Deshalb werfe ich jeden Morgen eine kleine Handvoll Mandeln in einen Becher mit Wasser. Die vom Vortag spüle ich einem Sieb ab und trockne sie, bevor ich sie genieße.
Und sehr kürzlich las ich, dass die in Mandeln enthaltenen Mineralstoffe erst durch das Einweichen freigesetzt werden.
Was ich übrigens absolut köstlich finde sind grüne, also unreife Mandeln. Sie werden mit der Schale gegessen, die noch ganz weich ist. Leider gibt es sie beinah nur in Mittelmeerländern und bei uns nur ab und zu, wenn man Glück hat, in türkischen Gemüseläden. Man kann sie mit etwas Salz einfach roh essen oder in Essig einlegen.
Im Frühjahr freue ich mich jedes Jahr ganz besonders über die rosa Mandelblüte. Mallorca ist übrigens berühmt dafür! Und es gibt auch einen Mandel-Wanderweg in der Pfalz.
Vor langer Zeit wohnte ich in Hamburg neben einer sehr großen Wiese (inzwischen ist sie bebaut und mit hohen Birken bewachsen), über die ich häufig ging, um zu einem Einkaufszentrum zu gelangen. Mitten auf dieser Wiese stand ein ganz junger, dünner kleiner Mandelbaum.
Es war Frühling, ich marschierte einige Tage lang an diesem kleinen Bäumchen vorbei und erzählte ihm, wie schön es sei. Dabei wirkte es auf mich, als ob es sich dabei ganz stolz und glücklich streckte und alle kleinen rosa Blüten spreizte.
Dann betrat ich eine Morgens die Wiese und hörte etwas wie einen schmerzlichen hohen Schrei – als ob ein Kind verletzt wurde. Ich konnte jedoch nirgends ein Kind entdecken, nur eine dunkel gekleidete Männerfigur, die schnell auf das Einkaufszentrum zulief.
Gleich darauf kam ich zu meinem Mandelbäumchen und sah mit Entsetzen, dass sein zarter kleiner Stamm, kaum mehr als ein Zweiglein, in der Mitte umgeknickt war, ganz durchgebrochen, nur noch von etwas Rinde gehalten. Die rosa Krone baumelte am Stamm herunter. Ich erinnere mich noch genau, wie schmerzlich mich das berührte.
Ich dachte mir, wer so etwas tut, muss sehr, sehr unglücklich sein …
Glücksfaktor: Die meisten Mandelbäumchen bleiben stehen.
Dies ist eine Zeit des Wechsels, der Veränderung. Schon im letzten Jahr sind viele zurückgeblieben, die vielleicht keine Lust mehr hatten, bei den kommenden Unruhen dabei zu sein. Womöglich werden sie auch an anderer Stelle benötigt. Nichts verschwindet wirklich, alles wandelt sich nur.
Ein Freund ist gegangen.
James Kater, für vertraute Personen Jimmy, schlank und zierlich, mit auffallend kleinen Pfoten und auffallend großen Augen.
Ein Menschenversteher – was andere Katzen missbilligen mögen – der eine eigene Sprache entwickelt hatte, der menschlichen Sprache sehr angepasst, weil es ihm ein Bedürfnis war, sich mitzuteilen. Jimmy war ungewöhnlich gesprächig. Menschen, die lesen können, ist es möglich, einen Schriftblock zu entschlüsseln, auf dem die Buchstaben vertauscht oder teilweise durch Zahlen ersetzt worden sind. So ähnlich war das mit Jimmys Äußerungen: Am Tonfall konnte man recht genau erkennen, was er sagen wollte, von Smalltalk („Geiles Wetter heute, was?“) bis Tiefsinn („Das Leben gleicht manchmal einer gefangenen Maus in der Badewanne“) war das Meiste gut zu verstehen.
In den letzten beinah fünf Jahren durften wir im selben Haus mit ihm wohnen. Er teilte seine Wohnung mit Lydia und gab ihr sehr taktvoll das Gefühl, sich mit ihm auf Augenhöhe zu befinden.
Jimmy war ein erwachsener Kater. Er besaß (und benötigte) weder einen Kratzbaum noch irgendwelches Spielzeug. Wenn er raus musste, verschwand er durch die Katzentür in den Garten – und zwar nie, ohne sich kurz akustisch zu verabschieden: („Ich geh mal eben raus, okay?“) – oder zurückzumelden: („Hallöchen, bin wieder da!“).
Ein astrologischer Zwilling, der sich wohl bewußt war über den Wert und die Notwendigkeit von Kommunikation.
Sein Revier war der Garten und ein Teil des großen benachbarten Grundstücks, Wildwuchs, Unkraut und Mäuse. Er richtete in der Wohnung keinen Unsinn an, indem er etwas herunterwarf – vielmehr verstand er sich auf die Kunst, mit seinen winzigen, edlen Pfoten umsichtig und elegant auch mal auf einem gedeckten Tisch umherzustolzieren, ohne in einen Teller zu treten oder zu naschen.
Er führte sein Leben und überließ Lydia ihr eigenes. Dabei erlaubten sich beide immer Zeit für Austausch, Gespräche und Schmusen. (Er fand es ganz ulkig, wenn sie ihn auf ihrer Schulter Rad schlagen ließ, immer mal wieder überkopf, hihi.) Eine gelungene und erfüllte Zweierbeziehung.
Wenn Lydia verreiste, ging ich am Abend runter, um den Kater zu füttern. Das geschah nur einmal am Tag und er teilte sich sein Futter selbst ein. Häufig begrüßte er mich erfreut und plapperte eine Weile dies und das, bevor er sich den Näpfen widmete. Falls seine Partnerin länger unterwegs war, kam er auch tagsüber mal rüber auf unsere Terrasse, um ein Schwätzchen zu halten oder sich auf einer der Gartenliegen zu parken: nie, ohne kurz zu fragen („Prrrau?“) ob das erlaubt sei.
Im Übrigen war er autark. Er musste nicht bespaßt werden, es war kein Katzenklo zu putzen. Eigentlich bat Lydia mich vorher jeweils nur, ich sollte bitte mal nach ihm sehen, solange sie weg wäre. Er sei ja ganz selbstständig, aber kurz mal gucken könnte nicht schaden.
Jimmy war das dritte Mitglied in unserem kleinen Wochenclub des Serienguckens, weshalb ich ihm gern Katzenchips mit Käsegeschmack mitbrachte. Er ertrug mit vorbildlicher Nachsicht unser ewiges Gestoppe jeder Serienepisode, um uns zwischendurch auszutauschen.
In der vergangenen Woche, als es ihm schon sehr schlecht ging, saß er ungewöhnlicherweise dauernd dicht neben mir und schaute mich fragend und drängend an. Ich verstand nicht genau, was er wollte. (Menschen sind ja manchmal ziemlich unterbelichtet.)
Später hab ich begriffen, dass er meinte, ich sollte bitte mal nach Lydia sehen, wenn er weg wäre. Sie sei ja ganz selbstständig, aber kurz mal gucken könnte nicht schaden.
Das will ich gerne tun, Jimmy.
Glücksfaktor: Es war mir eine Ehre, seine Freundin gewesen zu sein.
Mehr geht nicht. Wir wissen nahezu alles. Den Rest müssen wir gar nicht wissen.
Vor allem wissen wir mehr als jemals ein Mensch zuvor – oder vielmehr: als die Menschen vor uns. Die haben sich teilweise ja ganz schön vertan. Eigentlich darf man sagen, sie waren mehrheitlich auf dem Holzweg. Man kann nur den Kopf schütteln.
Inzwischen sind wir wacher. Dadurch erkennen wir, wie kreuzdämlich die Menschheit früher war.
Ich will jetzt nicht bei den Höhlenmenschen anfangen, die sich ja offenbar nach letzten Erkenntnissen einigermaßen vorurteilsfrei mit Neandertalern gekreuzt haben. Es reicht, auf Leute wie die Inkas, Mayas und Azteken zu gucken. Allesamt völlig verdummt durch ihre religiös geprägte Weltanschauung.
Ihr jeweiliger Obermotz war, vereinfacht gesagt, zusätzlich höchster Priester. (So ähnlich wie jetzt noch im englischen Königshaus, der Monarch ist gleichzeitig das Oberhaupt der Kirche.) Der Typ auf dem Thron: gewissermaßen eine Mischung aus Kanzler und Papst. Nur mit ihm sprachen die Götter – wieso hätten sie auch mit wem reden sollen, dem keiner zuhört, wenn er was weitergibt? – nur er konnte ihren Willen verbreiten. Der war teilweise drastisch. In Mittelamerika fanden Menschenopfer in großem Ausmaß statt. Besonders schmerzlich berührt uns heute das Opfern vieler Kinder, die man in Käfigen verhungern ließ oder denen man den Brustkorb aufmeißelte, um das schlagende Herz herauszuholen und den Göttern zu präsentieren.
Möglicherweise existierten einige Menschen (am ehesten Mütter und Väter?) die dachten oder sogar sagten: „Seid ihr eigentlich alle bescheuert? Wieso müssen wir denn unsere Kinder abmurksen?“ – doch die Mehrheit des Volkes wusste definitv, dass dies zu geschehen hatte, um die Götter zu versöhnen und das Wetter zu ändern. Sie glaubten sich auf der Höhe der Erkenntnis.
Wir können darüber nur den Kopf schütteln.
Das Christentum, die weltweit erfolgreichste Religion, brachte eine Erleichterung. Obwohl dieses Unternehmen über eine beachtliche Menge von Märtyrern verfügte, missbilligte es prinzipiell Menschenopfer.
Irgendwie religiös oder gläubig waren die Menschen eigentlich überall und immer gewesen. Doch dieses neue Unternehmen verbreitete seine Botschaft ganz besonders energisch, nach Möglichkeit bis in den letzten Winkel, durch Missionare und Kreuzzüge. Eigentlich bedeuteten die Botschaft letztendlich Frieden. Doch auf dem Weg dorthin musste mancher Schädel eingeschlagen und manche Brust durchbohrt werden. Das gute Gefühl dabei vermittelte die Gewissheit, sich auf dem Gipfel der Erkenntnis zu befinden. Wir sind die Guten – die anderen haben keinen Schimmer und sind die Bösen: Ungläubige, Heiden, Ketzer.
Die Anhänger der zweitgrößten Religionsgemeinschaft auf diesem Planeten, die Muslime, sehen das übrigens genauso. Nur sind in diesem Fall natürlich sie es, die auf dem Gipfel der Erkenntnis hocken.
Nachdem man also wusste, wo sich die Guten befinden, bekam man schnell heraus, wo die Bösen sitzen. Im Regierungsgebiet der Hölle natürlich. Magier, Teufelsanbeter und Hexen. Vor allem Hexen.
Das enthielt wissenschaftlichen Hintergrund. Es gab Bücher, die genau erklärten, woran man Hexen erkennen konnte und auf welche Art sie zu verhören (und zu foltern) wären. Alles auf dem Höhepunkt der damaligen Erkenntnis. Überwiegend im 17. Jahrhundert wurden in Europa ungefähr 50.000 Hexen hingerichtet, vor allem Frauen.
Vielleicht gab es hin und wieder so was wie ‚Querdenker‘ (mir fällt gerade kein besseres Wort ein), die versuchten, auf den Wahnsinn aufmerksam zu machen. Andererseits dürfte das eine gute Methode gewesen sein, selbst auf dem Scheiterhaufen zu landen.
Man kann nur den Kopf schütteln.
Wissenschaft existierte bereits im Altertum und im Schatten der Pyramiden: Forschung, Vermutung und Experimente.
Es dauerte geraume Zeit, bis sie sich beispielsweise auf dem Gebiet der Medizin von Glauben (heiltätige Mönche und Nonnen, ‚Gesundbeten‘) und Aberglauben wie Kräuterkunde und Homöopathie befreien konnte und zur reinen Chemie mit Nebenwirkungen überging. Eigenartigerweise befanden sich die Ärzte ihrer Zeit jeweils auf dem Gipfel der Erkenntnis. Keinem war klar, dass ihr Tun widerlegt werden könnte und neuere Erkenntnisse das Gegenteil beweisen würden.
Je nach der Zeit, in der sie lebten, wussten die Menschen alles. Sie wussten, dass es ungesund ist, zu baden oder die eigene Haut oft zu waschen – dass Krankheiten durch Dämpfe übertragen werden, die aus dem Boden steigen – dass Sklaverei ein gottgewolltes Geschick sein muss – dass jemand mit einer fremden Sprache ‚Kauderwelsch‘ redet, also (weil unverständlich), dummes Zeug. Sie wussten, dass Rauchen unschädlich ist und Radioaktivität ein harmloses Treibmittel. Sie waren völlig überzeugt davon, dass es eine menschliche ‚Herrenrasse‘ gibt, die allen anderen überlegen ist. Dass Tiere weder denken noch fühlen. Dass die Schädelform eine Menge über den Charakter aussagt. Oder dass man Neugeborene fest umwickeln muss, um ihrem Körper Halt zu geben. (Und das denken im Moment wieder viele Eltern. Manche Überzeugungen sind Wiedergänger.)
Kürzlich las ich den Artikel einer Literaturwissenschaftlerin, die verlangte, man möge ‚Robinson Crusoe‘ bitte nicht mehr lesen. Der Verfasser, Daniel Defoe, sei selbst ein ‚Profiteur des Sklavenhandels und Verherrlicher des Kolonialismus‘ gewesen, weshalb der Roman penetrant diese Ansichten vertrete. Im Übrigens sei der sowieso langweilig und dürfe kein Kind interessieren.
Kurz zu Defoe: Er schrieb 1701 ein satirisches Gedicht ‚Der waschechte Engländer‘, in dem er das intolerante und nationalistische Verhalten seiner Landsleute anprangerte, und er trat durch seine journalistische Arbeit nachdrücklich für religiöse Minderheiten ein. Übrigens musste er deshalb sowohl an den Pranger als auch in den Knast. Trotzdem teilte er selbstverständlich viele der gängigen Ansichten seiner Zeitgenossen. Er war, wie alle seiner Generation, auf der Höhe der Erkenntnis.
So etwas sollte eine Literaturwissenschaftlerin eigentlich wissen. Wegen inzwischen überholter politischer Ansichten ein Stück klassischer Literatur als langweilig zu erklären finde ich etwas kläglich.
Immerhin liegt es im Trend. Durch fortschreitende Erkenntnisse sind wir in letzter Zeit ganz erstaunlich in der Lage, über frühere Mitglieder unserer Spezies den Kopf zu schütteln und sie notfalls rückwirkend auf den richtigen Weg zu holen. Es nützt ihnen nichts, wenn sie inzwischen tot sind. Verbesserung geht immer. Wir nehmen es den Persönlichkeiten der Vergangenheit ganz schön übel, nicht auf unserem Stand der Erkenntnis gewesen zu sein. Das hätten sie doch eigentlich irgendwie wissen müssen? Wir stürzen sie buchstäblich vom Sockel, streichen oder ändern in ihren Werken und machen deutlich, dass sie unseren Respekt verloren haben.
Die Guten, daran hat sich durch alle Zeit hindurch nichts geändert, die Guten sind wir, immer auf dem Gipfel der Erkenntnis. Die Bösen wandeln sich im Lauf der Zeit.
Es ist eigentlich nicht damit zu rechnen, dass wir aus irgendeinem Grund, von dem wir jetzt nicht das geringste ahnen, im Bewusstsein der folgenden Generationen die Bösen sein werden, oder?
Glücksfaktor: Das Kopfschütteln. Es gibt so ein überlegenes Gefühl …
Das Lied fiel Otis Redding ein, als er im August 1967 auf einem Hausboot vor Sausalito in der San Francisco Bay in der Morgensonne an Deck saß und das Geglitzer auf den Wellen und die vielen Boote beobachtete, die in die Bucht hereinkamen und sie wieder verließen.Otis war damals 25 Jahre alt und seine Zukunft sah eigentlich ziemlich gut aus. Zwar stammte auch er, wie die Figur aus seinem Song, aus dem weit entfernten Georgia, aber er war kein armer Kerl, der keinen Job findet, dessen Hoffnungen enttäuscht wurden, der sich fragt, wieso er eigentlich diese weite Reise gemacht hat, die doch nichts an seinem Schicksal änderte – im Gegenteil. Für Afroamerikaner gab es damals ziemlich genau zwei Möglichkeiten, aus dem Elend aufzusteigen: Sport und Musik. Otis Redding war ein äußerst talentierter Komponist und ein wunderbarer Sänger, der gerade begann, ziemlich bekannt zu werden. Seit fünf Jahren verheiratet – als er seiner Frau begegnete, war sie achtzehn und er neunzehn – vierfacher Vater, immerhin bereits Besitzer eines Kleinflugzeugs. Er hatte eine recht erfolgreiche Europa-Tournee hinter sich, war beim berühmten Monterey Pop Festival aufgetreten. Alles, was jetzt noch fehlte, war ein ganz großer Hit.Der wunderbar traurige Song, in dem die Bewegung der Wellen enthalten ist, wurde einige Monate später, am 7. Dezember, in Memphis, Tennessee, aufgenommen. Otis hatte sich kurz vorher die Polypen entfernen lassen, und im Studio meinten alle, seine Stimme habe noch nie besser geklungen. Übrigens fehlten zum Schluss noch ein paar Zeilen – die würden ihm später einfallen. Jetzt wurde das Lied erstmal so aufgenommen und Otis pfiff, improvisierend, im letzten Teil zunächst mal ein bisschen. (Und da waren sich alle einig, dass er nicht besonders gut pfeifen konnte.)
Drei Tage später, am 10. Dezember 1967, flog der Sänger mit seiner Band in seiner Privatmaschine nach Wisconsin zu einem Konzert. Die leichte Beechcraft geriet in ein Unwetter und stürzte ab.
Otis Redding starb mit 26 Jahren.
‚Sittin’ on the Dock of the Bay‘ erreichte sofort Platz eins der amerikanischen Billboard-Charts. Das Lied hielt sich über Wochen in den Hitparaden der ganzen Welt. Redding wurde gleich nach seinem Tod einer der erfolgreichsten Soulsänger aller Zeiten. Man nennt ihn inzwischen King of Soul. Die letzte Zeile im Song bekam keinen Text mehr. Es blieb bei diesem etwas unsicheren Pfeifen, das so besonders gut wiedergibt, dass der einsame Mann auf dem Dock vergeblich versucht, ein bisschen optimistisch zu sein …
Ich sitz in der Morgensonne Ich werd hier noch sitzen, wenn der Abend kommt Beobachte die Schiffe, die einlaufen Und dann beobachte ich, wie sie wieder wegfahren
Ich sitz auf dem Dock der Bucht Guck zu, wie die Flut fällt Ich sitz auf dem Dock der Bucht Verschwende die Zeit
Ich verließ mein Zuhause in Georgia Machte mich auf den Weg zur Frisco Bay Denn ich hab nichts, wofür es sich zu leben lohnt Scheint, es würde nichts auf mich zukommen – also
Sitz ich einfach auf dem Dock der Bucht Beobachte, wie die Flut fällt sitz auf dem Dock der Bucht Verschwende die Zeit
Sieht aus, als würde sich nichts ändern Alles scheint gleich zu bleiben Ich kann nicht tun, was zehn Leute mir sagen Also schätze ich, ich bleib derselbe
Ich sitz hier und ruh meine Knochen aus Und diese Einsamkeit wird mich nicht verlassen Zweitausend Meilen hab ich zurückgelegt Bloß um dieses Dock zu meinem Zuhause zu machen
Jetzt sitz ich einfach auf dem Dock der Bucht Guck zu, wie die Flut fällt Sitz auf dem Dock der Bucht, verschwende die Zeit …
Glücksfaktor: Dass es möglich ist, Stimmen für die Nachwelt zu speichern!