Als die Bücher verbrannt wurden


Heute ist der achte Mai. In zwei Tagen, am 10.5., jährt sich der Tag der Bücherverbrennung in Berlin.

Vor 87 Jahren beschäftigte sich die „Deutsche Studentenschaft“ (also jedenfalls der nationalsozialistische Teil dieser Vereinigung, und das war unzweifelhaft der größte) damit, den undeutschen Geist zu bekämpfen.

Es gab eine schwarze Liste, auf der alle bösen und unerwünschten und das-deutsche-Volk-schädigenden Bücher standen.

Die Studenten sortierten ab dem 6. Mai zunächst ihre eigenen Regale  aus, dann die Bücherschränke von Verwandten und Bekannten, die sich nicht wehrten (und auch die von denen, die sich wehrten) sowie schließlich Bibliotheken und Buchhandlungen.

Es ging ihrer Ansicht nach um die „Hinrichtung des Ungeistes“.

In 21 Hochschul-Städten wurden Scheiterhaufen aufgeschichtet und die Veranstalter sorgten überall für prachtvolle Fackelzüge.

Da hatten sie gleich etwas, um die Scheiterhaufen und die Bücher anzuzünden. Organisatorisch waren sie zweifellos mordsmäßig auf Draht.

Leider ließ das Wetter sich an diesem Abend nicht so richtig organisieren. Es regnete deutschlandweit. In Hamburg, einer ohnehin regenbegabten Stadt, derartig, dass die Bücherverbrenner resignierten und die Aktion auf den 17. Mai verschoben. (An dem nieselte es dann nur.)

In Berlin begann der Regen sachte, aber mit zunehmender Feierlichkeit der Bücherverbrennung goss es in Strömen. Das war für diesen Anlass ein bisschen ungünstig: der Scheiterhaufen für den guten Zweck ließ sich nicht entzünden. Doch da kam die brave Feuerwehr mit Benzinkanistern … Man muss nur wollen.

Es wurden Wagenladungen mit den Büchern von Tucholsky, Heine, Marx, den Mann-Brüdern und eine Menge anderer guter Literatur verbrannt, mit jeweils dazu gejolten Begründungen. Trotz Wolkenbruch beste Stimmung.  (Es existieren immer noch akustische Mitschnitte.)

Zum Abschluss und als Höhepunkt erschien Propagandaminister Goebbels persönlich und hielt mit überschnappender Stimme eine Rede. Es hört sich grauenhaft an. 

Übrigens stand einer der verbrannten Autoren, Erich Kästner, deutlich sichtbar am Rande und sah zu. Er war einer von denen, die es nicht lassen können, zu beobachten und er blieb auch, im Gegensatz zu den meisten seiner verfemten und verfolgten Kollegen, bis zum traurigen Schluss in Deutschland.

Ich habe vor ein paar Jahren eine Geschichte über das Ereignis geschrieben, aus der Sicht einer weiteren Beobachterin.

Augenzeugin

Berlin, Montag, den 8. Mai 1933

Gestern bin ich in die Hauptstadt gereist.

Mama und Papa glauben, ich sei bei Tante Ada in Gumbinnen. Tante Ada wird eine Postkarte von mir an meine Eltern schicken, dass ich gut bei ihr angekommen bin. Sie sagt, sie war auch mal jung und hat auf viel zu viel verzichtet. Das soll ich bloß anders machen.

Arthur Hirsch hat mich am Anhalter Bahnhof abgeholt. Er wollte, dass wir eine Autodroschke nehmen, das hab ich abgelehnt. Ich finde es klüger, zu sparen. So schwer ist mein Koffer gar nicht, und überhaupt hat den ja Arthur getragen.

Er hatte sich gedacht, ich wohne bei ihm.

Na, Kuchen!

Das hab ich erst recht abgelehnt. Und darauf bestanden, dass wir für mich ein Pensionszimmer suchen.

Da sagt Arthur, er denkt, wir wollen sparen?

Da sag ich, ich bin hergekommen, um Karriere zu machen und nicht, um plötzlich Mutter zu werden. Das kann ich auch in Göttingen und zwar komfortabler.

Es verhält sich so, dass ich nahezu verlobt war mit Gustav Hartnagel.

Der ist bei uns Zuhause Professor für Mathematik  und war von Anfang an in der Partei. Seit sie die Juden von der Göttinger Universität gejagt haben ist er fein raus und meine Eltern sagen, er hat eine große Zukunft. An der wollen sie teilhaben, deshalb soll ich Gustav heiraten und Frau Professor werden und viele blonde Kinder bekommen.

Ich bin aber nicht ganz überzeugt von Gustav. Er trägt einen Zwicker und seine Haare sind schon so dünn. Außerdem hat er für einen Mann so eine winzig kleine Nase, das behagt mir nicht. Wer will denn Kinder von so einer Nase?

Papa ist vor einigen Monaten auch in die Partei eingetreten. Er war entflammt, seit der Führer im letzten Sommer bei uns im Kaiser-Wilhelm-Park rumbrüllte, bei strömendem Regen.

Dabei hat Papa früher immer gesagt, wer brüllt hat Unrecht.

Also sollten Gustav und ich uns Ostern verloben. Ich bin nur noch mal davon gekommen, weil Gustavs Weisheitszahn sich entzündet hatte und er bloß noch aus Backe bestand und sich aus dem Strohhalm ernährte. Da haben wir die Verlobung verschoben und ich fing sofort an, Pläne zu machen für meine Flucht.

Mir schwebt nämlich durchaus eine andere Zukunft vor Augen.

Ich will eine berühmte Schriftstellerin werden. Nach mir werden sie Straßen und Schulen nennen und ich werde eines Tages im Lexikon stehen. Hoffentlich mit einem hübschen Bild.

Ich kann mindestens so schreiben wie Irmgard Keun oder Vicki Baum, aber amüsanter. Und außerdem ganz radikal. Mit dem Blickpunkt aus dem Volke, was gar nicht so einfach ist, weil, ich bin nicht direkt aus dem Volke und hab Mittlere Reife. Aber ich kann mich da reinfühlen. Kritisch muss es sein und etwas sarkastisch. Alle wirklich guten Schriftsteller sind links, da können die Nazis sich auf den Kopf stellen.

Arthur Hirsch ist auch links und schreibt auch. Er arbeitet bei einer Wochenzeitung und außerdem an einem Roman.

Ich arbeite auch an einem Roman.

Arthur hat in Göttingen studiert, da haben wir uns vor zwei Jahren kennen gelernt, beim Tanztee. Er hat mittelblondes Haar mit Seitenscheitel. Dieses Haar glänzt wie ein Spiegel, sehr hübsch. Außerdem besitzt er eine achtunggebietende Nase und wir können uns über vieles sehr angeregt unterhalten. Wir korrespondieren, seit er wieder in Berlin lebt.

Dieser Mann hat Verbindungen, also anders als Gustav Hartnagel, meine ich.

Arthur interviewt Künstler und Intellektuelle. Er sitzt dauernd im Romanischen Café und fast alle grüßen ihn da. Er wird mir Kontakte machen. Es hat keinen Sinn, still vor sich hin zu schreiben. Wenn ich mich für diesen Lebensweg entscheide, dann will ich auch ganz groß rauskommen.

Berlin, Dienstag, den 9. Mai 1933

Wir haben ein ganz schönes Pensionszimmer für mich gefunden.

Sehr gut schlafen konnte ich nicht, denn das Bett ist etwas schmal und die Matratze hat Beulen. Dafür gibt es einen kleinen Tisch, an dem ich schreibe.

Ich wünschte, ich hätte eine Schreibmaschine.

Ich kann mir vorstellen, wie ich flott darauf einhämmere, mit einer Zigarette im Mundwinkel. Ich muss mir bloß noch das Rauchen angewöhnen. Meine Eltern und Gustav Hartnagel sagen natürlich, eine deutsche Frau raucht nicht, deshalb habe ich mich bisher nicht darum kümmern können.

Andererseits macht eine Schreibmaschine viel Lärm. Es fragt sich, ob die Zimmerwirtin und die anderen Mieter sich nicht gestört fühlen würden.

Nun sitze ich mit meiner Füllfeder da und schreibe fast lautlos auf glatte Bögen weißen Papiers. Die hat mir Arthur geschenkt.

Ich muss sagen, er ist mir ziemlich ergeben. Gestern Abend lud er mich noch zum Essen ein, zu Bockwurst nur, aber immerhin.

Heute Nachmittag wollen wir ins Romanische Café und die wichtigen Verbindungen knüpfen. Ich habe, noch in Göttingen und in Papas Büro, die ersten 25 Seiten meines Romans fünfmal sauber abgetippt, also nicht etwa mit Durchschlag sondern immer original. Das war eine elende Arbeit. Und hab sie an Arthur geschickt, damit er sie schon mal an die maßgeblichen Förderer verteilt.

Berlin, Dienstagnacht

Kinder, heute habe ich Erich Kästner kennen gelernt! Ich bin noch ganz aus dem Häuschen. Außerdem bin ich keine Jungfrau mehr, aber das nur nebenbei.

Arthur hat mich dem Dichter im Romanischen Café vorgestellt. Das ist ein berühmter Treffpunkt von Literaten und Journalisten und Filmleuten und liegt gegenüber der großen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Tische aus Marmor, sehr elegant, und leider unbequeme Stühle, wie ich später merkte.

Das Café war voller Menschen, viele edel und intelligent aussehende Männer. Und leider auch viele schöne Frauen, also ich war beileibe nicht die einzige.

Ich trug mein bestes Dunkelblaues mit weißen Tupfen und kleinem weißen Kragen, das ist süß und zeigt, wie schlank ich bin.

Das Café hatte ich mir intimer vorgestellt, da sind Säle wie im Bahnhof. Andererseits würden sonst nicht so viele wichtige Menschen reinpassen.

Arthur erklärte mir, der eine große Saal nennt sich Schwimmerbassin. Da sitzen die Berühmtheiten, die es geschafft haben.

Der andere heißt Nichtschwimmerbassin. Dort müssen die bleiben, die noch drauf warten.

Wir gingen jedoch ganz flott zu den Schwimmern, weil Arthur ja fast alle dort kennt, indem er sie interviewt hat. Viele trugen lange Künstlerlocken, sofern sie noch Haare hatten. Sie tranken Kaffee und lasen allesamt Zeitungen. Das sah auch aus wie im Wartesaal.

Arthur wurde ganz verzweifelt, weil gerade heute keiner da war, auf den er gehofft hatte.

Dann entdeckte er endlich Erich Kästner. Der hat weltberühmte Kinderbücher geschrieben, ‚Emil und die Detektive‘ und ‚Pünktchen und Anton‘, mit trockenem Humor und Sozialkritik, ganz fein. ‚Fabian – Die Geschichte eines Moralisten‘ hab ich heimlich gelesen, das hätten meine Eltern nicht erlaubt. Erstens ist es zersetzend und zweitens stehen Ferkeleien drin, wie dass eine nackte Frau auf ihrem Popo einen Schuhplattler klatscht und so etwas. Gustav sagte mal zu mir, dieses Buch ist entartet.

Herr Kästner saß allein vor einer Tasse Kaffee, blätterte in einer Zeitung und lächelte uns an, als wir uns zu ihm setzten.

Arthur erinnerte ihn daran, ihm kürzlich meinen Romananfang gegeben zu haben und der Dichter bedauerte sehr höflich, dass er noch nicht zum Lesen gekommen sei.

Er hat einen schmalen Kopf wie ein überzüchteter Hund mit wuscheligen Augenbrauen, sieht vollkommen edel aus und ist ganz Herr, mit langen, schlanken Händen. Außerdem spricht er ein wenig sächsisch, das klingt doch sehr sympathisch.

Er versicherte, nachdem er mich nun persönlich kennen gelernt hätte, würde er es wirklich so bald als möglich lesen. Und falls er es verantworten könne, wollte er es sogar an seinen Verlag weiterleiten!

Ich konnte gar nichts sagen. Fast hätte ich geheult vor Glück. Meinem großen Erfolg steht nun praktisch nichts mehr im Wege!

Und ich weiß, dass andere Schriftsteller oft jahrelang vergeblich schuften und richtig ein bisschen ins Elend geraten bis an den Rand der Verzweiflung, bevor der Ruhm kommt. Ich war darauf gefasst gewesen, dass auch ich Geduld brauche und etwas leiden muss.

Beim Rausgehen trafen wir noch auf einen kleinen Herrn mit schmalem Schnauzbart, den Arthur begrüßte und dem er mich vorstellte: das sei Herr Zweig. Ich war ganz begeistert und sagte ihm, dass ich seine Novelle ‚Angst‘ liebe und schon mindestens zehn Mal gelesen habe.

Aber das war falsch, weil dieser Dichter nicht Stefan Zweig war sondern Arnold Zweig. Er lachte darüber und sagte, mit dem Kollegen würde er öfter verwechselt.

Arthur meinte in etwas vorwurfsvollem Ton, Herr Zweig habe doch den ‚Streit um den Sergeanten Grischa‘ geschrieben.

Ich wollte nicht sagen, dass mir das Buch kein Begriff ist, so was kränkt sicher auch berühmte Leute. Ich nahm Arthur jedoch übel, mir so einen verwechslungsgefährdeten Mann nicht gleich mit Vornamen vorzustellen.

Immerhin erzählte er auch diesem Zweig von meinem Romananfang. Und der sagte, er wollte ihn gern einmal lesen. Fast hätte ich ‚Nein, danke‘ gesagt, weil sich Herr Kästner ja schon für mich einsetzen will. Aber dann dachte ich, man kann nie wissen. Am Ende balgen sich zwei Verlage darum, dass ich bei ihnen erscheine und überbieten sich mit den Honoraren!

Dies war ein wunderbarer Tag. Vielleicht der wichtigste in meinem Leben. Deshalb war ich Arthur nicht weiter böse und kam auch noch mit zu ihm in sein Zimmer, ganz leise, weil Damenbesuch natürlich nicht gestattet ist.

Wenn ich Erotik beschreiben will, muss ich Erotik erlebt haben, das bin ich meinen Lesern schuldig. Allerdings muss ich sagen, ich finde sie etwas langweilig. Man weiß auch immer nicht, wo man seine Hände lassen soll dabei. Wahrscheinlich braucht das Übung.

Im Zug, Donnerstag,  den 11. Mai 1933

Vielleicht werde ich doch keine berühmte Schriftstellerin. Jedenfalls nicht dieses Jahr. Womöglich ist es vernünftiger, abzuwarten, wie es mit den Nationalsozialisten weiter geht.

Gestern Abend haben sie meine Förderer verbrannt, also ihre Bücher.

Es ist nicht sinnvoll, von jemand gefördert zu werden, dessen Werke man staatlicherseits verbrennt.

Weil ich vorgestern so spät in mein Bett kam, habe ich gestern lange geschlafen. Ich wurde durch ein Klopfen an der Tür geweckt: das war die Pensionswirtin, die mir sagte, ein Bote sei da, der mir einen Brief nur persönlich geben wollte.

Also zog ich schnell meinen Bademantel über das Nachthemd und ging in den Flur.

Da stand ein Steppke mit einer Ballonmütze, grinste mich an und hielt mir einen Umschlag hin.

Ich tat so, als würde ich nicht merken, dass er auf Trinkgeld wartet, schnappte ihm den Umschlag aus der Hand und schlug ihm meine Zimmertür vor der Nase zu. Arthur schrieb:

Mein Kleines,

leider muss ich ganz plötzlich beruflich nach Paris.

Es ist unbestimmt, wann ich zurückkomme.

Ich wünsche Dir alles Gute und viel Glück.

Mögest Du den Erfolg haben, den Du Dir wünschst.

Tausend Küsse von

Deinem Arthur

Ich war ganz entgeistert. Wieso hatte er das in der Nacht noch nicht gewusst?

Wollte er etwa nur das Eine von mir und verschwand anschließend, wie Mama immer behauptet hatte, dass Männer tun?

Das konnte ich mir von Arthur nicht vorstellen.

Und wenn er so einer gewesen wäre, hätte er ja verschwinden können, ohne mir noch zu schreiben.

Ich zog mich an und machte mich zurecht und marschierte los, zu der Wohnung, in der er sein Zimmer hatte. Dort klingelte ich.

Eine mollige Dame mit Locken öffnete mir und sagte gleich: „Sie wollen bestimmt nach Herrn Hirsch fragen!“

Ich nickte und sie bat mich hinein, schob mich in ihr eigenes Wohnzimmer und erkundigte sich, ob ich Kaffee haben wollte. Das nahm ich gern an, ich hatte ja noch nicht gefrühstückt. Die Dame hieß Frau Krause und verlangte gleich, ich sollte Hertha sagen. Sie schien Arthur ganz gut zu kennen: „Er ist ein Waisenkind“, sagte sie, „Das hat auch Vorteile. Es macht beweglicher. Wer keine Familie hat, ist frei. Ich habe ihm zugeraten, ins Ausland zu gehen. Hier ist für Juden keine gute Zeit. Und das wird noch schlimmer, denn jetzt ist der Mann ohne Gemächt an der Macht…“

Ich begriff nicht, was sie meinte.

Sie kicherte und erklärte: „Na, er hält doch immer so beide Hände vor seinen Hosenschlitz und schreit: „Mirrr ist keinerrr gewachsen!“ Und sie kicherte noch mehr.

Ich trank meinen Kaffee, bedankte mich und ging. Abends wollte ich noch mal ins Romanische Café, um Herrn Kästner und Herrn Zweig die Adresse meiner Pension zu geben, weil Arthur jetzt ja als Verbindung nicht mehr zur Verfügung stand.

Bis dahin nutzte ich den Tag, um mir Berlin anzusehen.

Das Wetter war nicht schön und nachmittags taten mir die Füße weh.

Ich legte mich in der Pension auf mein Bett und wachte auf, als es schon dunkelte. Draußen war seltsamer Lärm und Musik, deshalb zog ich meinen Mantel über und ging auf die Straße.

Blaskapellen, Fackelzüge, Hakenkreuzfahnen, SA-Uniformen. Die ganze Stadt schien auf den Beinen. Ich fragte einen Herrn, was denn stattfände, und er sagte: „Na, jetzt fabrenn se die janzen Bicher von die Juden und die unjesunde Litteratur, wa. Deutsche, wehrt euch!“ Er zog kurz seinen Hut, nickte mir zu und ging weiter.

Zuerst verstand ich gar nicht, was er gemeint hatte. Ich wurde mitgeschoben zu einem großen Platz, auf dem hatten sie etwas wie einen riesigen Scheiterhaufen in Brand gesetzt und warfen immer noch Fackeln darauf. Inzwischen fing es sachte an, zu regnen, aber das machte dem großen Feuer nichts aus.

Sie schleppten Bücherstapel von Lastwagen und schleuderten sie ins Feuer, dass die Funken spritzten. Einzelne brennende Blätter schwebten herum.

Alle Menschen hatten rotbeleuchtete Gesichter. Junge Männer riefen mit grellen, überschnappenden Stimmen so was wie: „Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!“ Und dann immer: „Ich übergebe der Flamme die Schriften von…“

Ich hörte gleichzeitig, wie auch sein Name gerufen wurde – und sah ihn da stehen, mir schräg gegenüber, Erich Kästner in einem Staubmantel mit hochgeklapptem Kragen. Sein schmales Gesicht sah so unendlich traurig aus.

Ich bekam einen Schreck und hoffte, sie würden ihn nicht erkennen und womöglich auch einfach ins Feuer schmeißen in ihrer Begeisterung.

Dann kam, trotz des Regens, der immer stärker wurde, in einem offenen Wagen der Propagandaminister.

Er hinkte zum Mikrophon und hielt eine Rede. Die Nationalsozialisten müssen ja immer schreien, normales Reden geht bei denen nicht. Aber wenn Hitler klingt wie ein rasender Stier, dann Goebbels eher wie eine klagende Kuh. Sicher liegt das an seiner nöligen, rheinländischen Tonlage.

Von seiner Nase zum Kinn laufen zwei scharfe Falten und er wälzt seine dicke Zunge beim Sprechen ganz unappetitlich im Mund herum.

Er sagte so etwa, es wäre gut, dass die deutschen Studenten sich das Recht nehmen, den geistigen Unflat in die Flammen zu werfen.

Zum Schluss johlte er: „O Jahrhundert! O Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben!“

Da hatte sich Herr Kästner schon umgedreht und war mit gesenktem Kopf gegangen.

Ich musste seit einer Weile heulen. Das machte ja nichts, weil es sowieso regnete.

Ich ging zurück in mein Pensionszimmer und beschloss, am anderen Tag nach Hause zu fahren. Was sollte ich noch in Berlin? Den Anfang von meinem Roman kann ich selbst verbrennen, das brauchen andere nicht zu tun.

Arthur hätte mich ja fragen können, ob ich mit will nach Paris. Er hätte mich fragen können, ob ich Frau Hirsch werden will statt Frau Hartnagel. Die Initialen sind sowieso dieselben.

In diesem Land bleiben und gleichzeitig das schreiben, was ich schreiben will – das geht nicht, soviel ist klar.

Mal sehen, vielleicht heirate ich Gustav und kriege Kinder mit winzigen Nasen.

O Gott, ich bin so entsetzlich traurig dass ich in einem weg immer nur weinen könnte.

Mein Taschentuch ist schon zum Auswringen.

Wie kommt dieser Goebbels eigentlich zu der Behauptung, es sei eine Lust, zu leben?!

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