Ernst macht eine Herbstreise, 1. Tag


Am Sonntag, dem 20. September, geht es los. Vormittags packen wir und putzen noch mal die Wohnung, damit der Löwe-Papi, wenn er nach Hause kommt, alles fein findet. Der ruft sogar um elf Uhr an und fragt, ob wir schon weg sind. Nein. Ach – wann wolltet ihr denn los? Vor einer halben Stunde …

Stine wird zu Hause gelassen – einer muss ja da bleiben und aufpassen.

Eigentlich möchte sie gern mit. Ernst sagt, dafür ist sie noch zu klein. Das ist die Art von Beziehung, von der es in Facebook heißt: Es ist kompliziert …

Um Punkt 12 rollen wir vom Hof. Nun aber! Wir singen ‚On the Road Again!‘ Ernst ist bester Laune. Wenn wir in eine Raststätte kommen, nicht wahr, gibt es Pommes?

Mal sehen. Knabber doch einstweilen die Rohkost, die Mami geschnippelt hat, hier, nimm mal das Näpfchen. Winzige Tomaten, Gürkchen- und Möhrchenstengel. Und sag nicht Igitt. Das ist sehr gesund!

Normalerweise würden wir durch den Elbtunnel fahren. Der findet ausgerechnet heute nicht statt. Es ist ein sehr sonniger, erstaunlich warmer Sonntag. Alle Leute aus Niedersachsen wollen nach Schleswig-Holstein, alle aus Schleswig-Holstein wollen nach Niedersachsen, immer mitten durch Hamburg durch. Und alle Hamburger würden gern durch den Elbtunnel fahren, wenn er denn stattfände.

Unser letztes Lächeln sieht die herrliche, von Segeln besetzte Außenalster. Dann stecken wir fest. Vor unserer Haustür hatte das Navi noch behauptet, wir würden bis Kassel viereinhalb Stunden brauchen. (Mit der guten alten Berbel sollte immer eine Stunde dazu gerechnet werden.) Also fünfeinhalb, schlimmstenfalls sechs Stunden. Dann wären wir am frühen Abend in unserem Hotel gewesen. Das relativiert sich gerade. Jetzt muss ich Ernst erklären, was relativieren ist. Fünf Minuten stehen, acht Meter fahren. Die Leute in den Autos um uns herum zeigen vergrämte Gesichter. Fünf Minuten stehen, acht Meter fahren.

Ein böser dicker BMW drängelt sich, ohne zu blinken, ganz plötzlich vor Berbel. Vollbremsung, gerade, als es acht Meter voran ging! Jetzt hat Ernst buchstäblich Tomaten auf den Augen. Und Gurkenstengel auf der Schnauze. Der Rest der Rohkost hat sich gleichmäßig im Auto verteilt. Mami möchte gern dem BMW-Typen eins auf die Nase hauen, bewahrt jedoch ihren Sonntagsfrieden.

„Mami, sind wir bald da?“

„Das Navi sagt, in viereinhalb Stunden.“

„Das hat es doch vorhin schon gesagt? Als wir abgefahren sind?“

„Stimmt.“

„Und es hat gesagt, wir befinden uns auf der schnellsten Strecke?“

„Stimmt auch. Wollen wir bisschen ‚Ich seh was, das du nicht siehst‘ spielen?“

Was wir sehen, sind viele Autos, vorne, hinten, an allen Seiten. Dann passiert etwas wirklich Interessantes. Ein grünes Auto hinter uns hat fast ein weißes, das sich einfädeln wollte, gestreift. Da springen beide Fahrer raus und wollen sich an die Kehle. Beide haben blonde Vollbärte und Brillen und sind ungefähr gleich groß. Das sieht so aus, als ob ein Spiegelbild auf den böse ist, der sich spiegelt. Bevor sie sich kloppen, hupen zweihundert Autos sie an, denn es geht gerade acht Meter weiter. Also steigen sie ein. Jeder hat eine Frau neben sich, die ihn nun vollschnattert. Weil er sich fast gekloppt hätte? Oder weil er sich nicht gekloppt hat?

„Mami, ich muss mal!“

„Du warst doch gerade, bevor wir abgefahren sind?“

„Das ist aber ganz lange her!“

Wo Ernst recht hat, hat er recht. Inzwischen haben wir kurz nach zwei und die Elbbrücken sind keineswegs in Sicht.

Ich bin relativ ruhig – Ernst ist ziemlich zappelig, wegen Müssen. Das Navi ist hysterisch. Es sagt alle paar Minuten KLONG! und erzählt was von einer neuen Route, die ihm eingefallen ist. Das ist nett, aber albern. Wir sind mitten in einem Blechmeer eingekeilt. Selbst, wenn es eine andere Route gäbe, könnten wir nicht darauf abbiegen. Plötzlich glaubt das Navi (KLONG!) wir wären noch zu Hause und fängt an, zu erklären, wie wir nach Hamburg kommen.

„Jetzt ist es durchgeknallt“, meint Ernst mitleidig. Übrigens hat er Hunger.

„Du hast noch ein Möhrchenstück auf der Mütze. Iss das. Ich kann jetzt nicht …“

„Aber du hast gesagt, wenn wir in einer Raststätte sind, gibt es Pommes – ?“

„Erstens hab ich gesagt mal sehen. Zweitens brauchen wir für eine Raststätte die Autobahn. Wir sind aber noch mitten in Hamburg. Drittens …“

Es geht acht Meter weiter. Ernst ist beleidigt und redet nie wieder mit mir. Kein Wort! Das dauert leider nur sieben Minuten. Dann muss er jetzt aber so was von doll!

Mami angelt von hinten ein Handtuch aus einer Tasche und legt es unter Ernst, für den Fall der Fälle. Eigentlich heult er ja nicht mehr – aber jetzt doch. „Ich bin doch kein Baby!“

Um drei Uhr rollen wir über die Elbbrücken. Immer noch ziemlich langsam, denn hier ist immer noch Stau. Der hält sich kilometerweit. Jedenfalls kann man inzwischen meistens 40 fahren.

DA ist eine Raststätte! Nun aber nix wie hin und …

Aber wir sehen schon von Weitem, dass es vor den Toiletten eine Schlange gibt von mindestens 30 Personen, alle mit demselben Problem. Die waren allesamt im Stau. Also lieber noch weiter.

Irgendwann geht es in normaler Geschwindigkeit voran und die nächste Raststätte weiß nichts mehr von Stau. Da kommt Ernst sogar mit auf das Mädchenklo, was er sonst strickt ablehnt. Und Pommes gibt es endlich auch.

Von da ab sind wir gleichmäßig vor uns hin gefahren, bis wir gegen acht in Kassel angekommen sind. Raus aus der Stadt, eine wunderschöne Strecke an einem anmutigen Fluß entlang: Das ist die Fulda, und unser Hotel liegt direkt an ihren Busen geschmiegt. Übrigens heißt das Hotel Roter Kater, graue Katze. Deshalb wollte Ernst unbedingt da hin. Inzwischen ist er zu müde, um sich noch darum zu kümmern. Schnell ins Hotelzimmer, zu Bett und Augen zu!

Im Hotelgarten stehen Tische, aber da wird es bereits etwas kühl. Mami setzt sich in das ziemlich leere Hotelrestaurant, telefoniert mit dem Löwen, isst eine kleine Suppe und trinkt vor allem ein herrliches, kaltes Einbecker Bier!

Glücksfaktor: Dass es morgen den zweiten Teil dieses Reiseberichts gibt …

 

 

 


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