„Ist denn das normal?“


fragt Ernst beunruhigt, als er nach zwei Gläsern Orangenmarmelade Bauchweh bekommt. Lieber Ernst, völlig normal.

Aber wieso ist es eigentlich von so elementarer Wichtigkeit, normal zu sein?

Normal war es hierzulande schon einmal, seine Kinder zu ohrfeigen, sich die Taille zu schnüren, Leibeigene zu besitzen (oder Leibeigen zu sein) und das Haupthaar zu pudern. Ein normaler Mensch hieß Emil oder Hermine, was dreißig Jahre später höchst unnormal war, da hieß man bitte Thomas und Sabine. Inzwischen sind nun wieder Emil und Hermine normal. Wenn es jedoch jemand wagt, sein Kind Petersilie zu taufen (vorausgesetzt, ein deutscher Standenamt-Mensch lässt das zu) dann schüttelt der Rest der Welt mit dem Kopf und murmelt: „Das ARME Kind!“  Hießen zufällig alle Kinder Petersilie, dann wäre Hermine das ARME Kind.

Bekommen sehr viel ältere Herrschaften noch Nachwuchs, dann ist auch der das ARME Kind. Wieso? Weil Papa schon Rentner sein wird, wenn das Kind erwartet, er möge mit ihm Schlitten fahren, während er wahrscheinlich Rücken hat. Weil Mama eventuell ratzfatz das Zeitliche segnet in ihrem hohen Alter und dann steht das Kind da – was? An ihrem Grab. Das arme.

Es entspricht halt nicht der Norm. Ohweiohwei, ogottogott.

Dabei sind es statistisch gesehen die sehr jungen Väter, die das Balg schütteln, bis es endlich still ist und dann oft ein für alle Mal. Und die sehr jungen Mütter, die über Nacht in der Disko verschwinden und das Baby vergessen. Das ist dann eben normal. Wer sehr spät noch gebrütet hat, geht oft sorgfältiger mit den Nachwuchs um.

Indessen verschiebt sich auch hier die Norm. Was vor vierzig Jahren als ‚Spätgebärende‘ galt (und damit als Risikofall), ist heute im ganz normalen Alter für die erste Geburt.

Einige Normalitäten bleiben ziemlich lange bestehen, andere ändern sich. Gerade in den letzten Jahren.

Neue Normalität: Ein Handy zu besitzen (und häufig damit zugange zu sein), als Radfahrer nicht mehr anzuzeigen, in welche Richtung man fahren will (oncool) und entsprechend als Autofahrer nicht jedes Mal zu blinken, wenn es um die Ecke geht. Sieht man schließlich. Tätowiert zu sein, mindestens ein kleines bisschen. Übergewicht, doch, leider, wird immer normaler. Brille zu tragen ist offenbar normal. Achtet man darauf, dann tragen überall mindestens 75% aller Leute Glas vor den Augen. Das muss so. 

Krieg und Gewalt zu verabscheuen ist auf jeden Fall normal. Das war vor hundert Jahren ganz anders. Da hatte man noch Sinn für Heldentum und Vaterland und wer den nicht besaß, der war nicht normal.

Es ist normal, dass man sich erkältet, wenn es kalt ist, obwohl die Wissenschaft gerade behauptet, da bestehe kein Zusammenhang. Also ist das wohl eine Überzeugungssache.

Normal ist, Ehekrach zu haben, und wer behauptet, das käme in seiner Partnerschaft nie vor, der lügt natürlich. Normal sind Trotz in der Jugend und Krampfadern im Alter. Falls jemand seine Jugend trotzlos hinter sich brachte und mit Mitte siebzig immer noch auf Krampfadern wartet, sollte er darüber schweigen; es tut nicht gut, diesen Überzeugungen zu widersprechen. Man macht sich unbeliebt.

Auf jeden Fall ist es absolut normal, dass kleine Plüschbären zu viel naschen und sich hinterher elend fühlen …

 

 

 

 

 

 


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