Einfach ein typischer Tourist


Ernst war in Trier! Da wollte er ja nun seit Langem hin. Hat nie geklappt. Aber diesmal unbedingt – weil der neue Papi nun nicht mehr hier wohnt. Und dann fahren wir nicht mehr hin, außer zum richtigen Umzug. Beim richtigen Umzug macht man keinen Ausflug.

Ernst freut sich die ganze Fahrt von Norden nach Süden: Jetzt wird er Trier sehen! Und dieses schwarze Tor, Porta Nigra heißt das. Das haben die Römer gebaut, als sie noch so aussahen wie bei Asterix. Oder jedenfalls so ähnlich.

Mami muss ein Foto von Ernst machen, bitte, vor diesem Tor. Er will sein neues rotes Polohemd dazu anziehen, bitte. Weil, das sieht bestimmt cool aus vor einem schwarzen Tor.

Nachts gibt es ein Gewitter, das haut Bäume um und so. Am nächsten Tag regnet es und regnet und regnet …

Ernst sitzt auf der Fensterbank und guckt. Es muss doch mal aufhören? Tut es aber nicht. Wenn er nicht schon so groß wäre, würde er heulen. Der neue Papi sagt: „Ernst, bei dem Wetter macht ein Ausflug keinen Spaß. Wir sind sicher eines Tages noch mal hier.“

Jetzt heult er doch. Er hat sich, bittesehr, SO darauf gefreut! Immer, wenn er sich mal auf was ganz doll freut …

Mami sagt, der neue Papi soll in Ruhe seinen Computer abbauen und packen. Sie fährt eben mit Ernst nach Trier. Um das verflixte Foto zu machen im roten Polohemd vor der Porta Nigra.

Sie fahren durch Regenstraßen, als wäre das Auto ein Rennboot. Trier sieht, soweit man erkennen kann, sehr hübsch aus. Nur eben furchtbar nass. 

„Das da unten ist die Mosel, guck mal“, sagt Mami.

Na gut, die Mosel. Und wo ist die Porta Nigra? Da vorne.

Ernst ist etwas enttäuscht. So richtig schwarz sieht die aber nicht aus. Mehr wie ein bisschen altes angeschmuddeltes Schloss und mitten im Stadtverkehr.

Und dann kommt ein Wunder: Es hört für acht Minuten auf, zu regnen! Nun aber los!

Mami parkt und rennt mit Ernst auf dem Arm hin. „Lächeln, Ernst!“

Schon fängt der Regen wieder an. Stürmisch ist es auch. Bloß zurück ins Auto. Möchte Ernst jetzt Eis essen? Nein. Lieber zurück nach Bitburg.

Mami guckt auf der Rückfahrt manchmal in den Rücksspiegel. Ist der kleine Bär zufrieden? Offensichtlich. Er lächelt breit. Er hat weder den Dom gesehen noch das Amphitheater noch die Thermen oder sonst etwas von Trier. Er hat die Porta Nigra nicht einmal berührt – sie sind ja auf der anderen Straßenseite geblieben. Alles, was er hat, ist ein Foto im roten Polohemd vor der Porta Nigra da drüben. Mehr wollte er ja auch nicht.

Dann muss Abendessen gekocht werden und nicht zu spät ins Bett gegangen und noch mehr gepackt und früh los. Den Weg kennen sie allmählich auswendig – aber die Landschaft hat sich anders angezogen, jetzt ist Mai, alles in verschiedenen Grüntönen, und „Guck mal, Ernst, was für ein herrlicher Ausblick!“ Die Eifel ist ohne Zweifel eine Schönheit. Ein bisschen Sonne gibt es auch.

Inzwischen wissen sie, welche Raststätten ganz gut sind. Der Rückreiseverkehr ist spärlicher, als erwartet. Nun steht schon HAMBURG auf dem gelben Schild. In anderthalb Stunden sind sie da. Mami guckt noch mal in den Rückspiegel – schläft Ernst?

Nein – er weint! Sein Mund ist ein riesiges schwarzes Quadrat. Die Tränen sprühen nach allen Seiten.

„Was ist denn los, Schätzchen?“

Er kann kaum reden. Aber dann kommt: „Wir müssen sofort umkehren! Wir müssen zurück nach Trier!“

„Warum denn das?!“

Weil Ernst doch seinem richtigen Papi von dort eine Karte schicken wollte! Damit er weiß, wie lieb sein Ernst ihn hat. Und dass er immer an ihn denkt. Aber jetzt hat er eben nicht an ihn gedacht, nur an den Regen und das Foto. Also, wir müssen sofort  zurück.

Das Leben ist manchmal nicht einfach …

 

 


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