Leonora Christina Ulfeldt, Kirsten Munks Tochter, wurde am 8. Juli 1621 geboren


Ihre Mama war zwar die morganatische Gattin des Königs Christian IV von Dänemark, aber sie war  keine Königin – und Leonora deshalb auch keine Prinzessin.

Leonora, blitzgescheit, frech, humorvoll und hübsch, war die erklärte Lieblingstochter ihres Vaters. Er bevorzugte sie und ließ ihr eine besondere Erziehung angedeihen – was sie unter den Geschwistern etwas unbeliebt machte.

Auf diesem Bild steht sie neben zwei Schwestern ganz rechts.

Als sie sieben Jahre alt war, kam Leonora samt einiger Geschwister für zwei Jahre zu ihrer Tante, einer Gräfin, nach Friesland. In ihrer Lebensgeschichte hat sie später geschildert, was dort passierte. Sie verliebte sich nämlich in den zweitältesten Sohn ihrer Tante. Der war elf Jahre alt, hieß Mauritz und versprach, sie eines Tages zu heiraten. Einstweilen erteilte er ihr Unterricht in Latein, obwohl dieses Fach eigentlich (nach Ansicht aller damaligen Experten) nur für Jungen taugte. Sein älterer Bruder Vilhelm fand das ziemlich daneben, konnte Leonora überhaupt nicht leiden und meinte, dass sie viel zu viel Einfluss auf Mauritz gewann. Vielleicht war er auch schlicht eifersüchtig, aus welcher Perspektive auch immer?

Als Leonora an Windpocken erkrankte und ihr Gesicht von den Pusteln entstellt war, brachte Vilhelm seinen Bruder (verbotenermaßen) ins Krankenzimmer, um ihm zu zeigen, wie hässlich das kleine Mädchen jetzt aussah. Mauritz teilte diese Ansicht nicht. Leider steckte er sich jedoch bei dieser Gelegenheit an und starb eine Woche später.

Leonora fühlte sich ihr Leben lang für seinen Tod verantwortlich.

Als sie neun Jahre alt war, kam sie nach Dänemark zurück, bei ihrer Großmutter Ellen Mersvin untergebracht, und musste erleben, dass der König ihre Mutter vom Hof schickte und sich scheiden ließ: Sie hatte ihn mit einem deutschen General betrogen und noch dazu einen Magier beauftragt, den König zu verfluchen! Christian verbot daraufhin den gemeinsamen Kindern, ihre Mutter zu sehen und nahm eine Dienerin seiner Schwiegermutter zur Geliebten.

Aus politischen Gründen beeilte sich der König, die Kinder, die aus seiner morganatischen Ehe stammten, möglichst günstig zu verheiraten. So wurde die neunjährige Leonora mit einem bereits erwachsenen Adligen verlobt, dem 24jährigen Corfitz Ulfeldt, Sohn des Kanzlers, begabt, ehrgeizig, ungemein gebildet. Corfitz hatte im Ausland studiert und gehörte zu den Rittern des begehrten Dänischen Elefantenordens.

Auf den ersten Blick wirkte er nicht besonders attraktiv. Er war kaum mittelgroß und etwas füllig, hatte rotes Haar und weiße Wimpern. Nach kurzer Bekanntschaft gewann er allerdings; seine hellgrünen Augen schauten intelligent und eindringlich, er zeigte sich überaus wortgewandt und witzig und bekam beim Lachen Grübchen in beiden Wangen. Nach wenigen Stunden waren der junge Mann und das kleine Mädchen begeistert voneinander. In den folgenden sechs Jahren schrieben sie sich Briefe und begegneten sich manchmal zu längeren Gesprächen. Beide waren vollkommen einverstanden mit ihrer Verbindung. (Leonora wurden in dieser Zeit andere mögliche Kandidaten für eine Ehe vorgeschlagen, doch sie lehnte jedes Mal entschieden ab.)

Als sie eben fünfzehn war und Corfitz dreißig, spendierte ihnen der König eine prunkvolle Hochzeit. Ulfeldt wurde immer mehr zu seinem Günstling, schließlich als Reichshofmeister zum zweitmächtigsten Mann in Dänemark. 

In einer Zeit und in einem Milieu, in dem Heirat sehr wenig mit romantischen Neigungen zu tun hatte, führten Corfitz Ulfeldt und Leonora eine ganz ungewöhnlich glückliche Ehe. Sie beschrieb in ihren Erinnerungen, wie sehr sie ihn ihr ganzes Leben lang geliebt habe und wie leidenschaftlich und ausschließlich seine Liebe zu ihr gewesen sei: Er hätte sie behandelt wie ein feuriger Liebhaber und nicht wie ein Gatte.

Es gibt ein Bild der beiden, das außergewöhnlich ist. Personenabbildungen der damaligen Zeit waren grundsätzlich statisch; niemals lächelte ein Mensch auf einem Gemälde, einige Körperhaltungen galten als angemessen, andere waren unmöglich. Und doch ließen sich Ulfeldt und seine Gemahlin gewissermaßen beim Schmusen porträtieren, sie auf seinem Schoß!

Picture: British Museum

Das war beinah schon skandalös. 

Soviel Zuneigung blieb natürlich nicht ohne Folgen. Leonora brachte, abgesehen von einigen Fehlgeburten, zehn Kinder zur Welt. Denen war sie zwar innig ergeben (und für sie schrieb sie später ihr Leben auf) aber sie beklagte doch, dass die ständigen Schwangerschaften und Geburten sie ein bisschen viel von ihrem Mann ablenkten.

Von ihm lernte Leonora, sobald die Kinder ihr Zeit ließen, Italienisch und Niederländisch. Sie verbesserte immer noch ihre Lateinkenntnisse, nahm Violinen- sowie Gitarrenunterricht und ließ sich im Malen ausbilden. Da es keine offizielle Königin gab, nahm sie als Tochter des Königs und Gattin des Reichshofmeisters die Stellung der ‚ersten Dame‘ des Landes ein und bewies darin großes Geschick. Sie begleitete ihren Mann häufig auf seinen diplomatischen Reisen, erwa nach Holland oder Frankreich. Die französische Königin besonders zeigte sich bezaubert von der gebildeten, charmanten jungen Frau.

Die Ulfeldts bewohnten ein palastartiges Haus in Kopenhagen, gaben oft Gesellschaften und beeindruckten vor allem ausländische Gäste. Der dänische Adel war nicht ganz so angetan vom Reichshofmeister und seiner brillanten Frau. Vielleicht wirkten die beiden ein bisschen zu glücklich, um sympathisch zu sein. Mit der Zeit hieß es, sie wären arrogant und machthungrig. Außerdem ließ sich nicht übersehen, dass ihr Reichtum unaufhaltsam wuchs. Man munkelte, Corfitz beschäftige sich im großen Stil mit Veruntreuung und Korruption – jedenfalls schaffte er fortgesetzt neue Ländereien an und hängte seiner geliebten Frau ständig neue Juwelen um den Hals. (Oder eher Perlen. Leonora besaß eine berühmte Perlensammlung.)

1648 starb der alte König, Leonoras Vater. Natürlich saßen sie und ihr Mann an dessen Sterbebett.

Nun hieß es: „Der König ist tot – lang lebe der König!“

Der Neue war Leonoras Halbbruder, zwölf Jahre älter als sie, also fast 40, Sohn der legitimen, längst verstorbenen Königin. Er stieg als Frederik III. auf den Thron – und für die Ulfeldts änderte sich schlagartig sehr viel.

Frederik konnte weder seine Schwester noch ihren Mann leiden. Schlimmer: Seine Frau, Königin Sophie-Amalie, fand Corfitz widerlich und hasste Leonora. 

Sophie-Amalie musste nun den Job der ‚ersten Dame‘ übernehmen, den Leonora so lange innegehabt hatte, und es wurde ihr, bewusst oder unbewusst, vermittelt, dass sie es bei Weitem nicht so gut hinbekam. Sie war weniger charmant, weniger gebildet und weltgewandt, weniger schlagfertig und weniger hübsch als ihre Schwägerin. Irgendein sinnvoller Grund, Leonora zum Tode zu verurteilen, wäre ihr recht gewesen.

Als der neue König ankündigte, er wollte eine Untersuchung einleiten, um festzustellen, woher Familie Ulfeldt eigentlich ihre üppigen Einnahmen bezog – da packte Leonora eilig die Koffer, während Corfitz soviel der üppigen Einnahmen wie möglich locker machte, um sie mitzunehmen.

Das Ehepaar floh zunächst an den schwedischen Hof und wurde dort von Königin Christina herzlich aufgenommen, versuchte mehrfach vergeblich, sich mit Frederik auszusöhnen, kugelte etwas haltlos an einigen europäischen Höfen umher und fand sich im Wesentlichen heimatlos. Corfitz bemühte sich verschiedentlich, andere Monarchen gegen Dänemark zu unterstützen, hatte jedoch nur mäßigen Erfolg und wirkte zunehmend unsympathisch und intrigant. (Außer in den Augen seiner Frau.)

In Kopenhagen wurde das schöne große Wohnhaus der Ulfeldts bis auf den Grund abgerissen und an dessen Stelle eine Art düsterer Hinkelstein errichtet, auf dem zu lesen stand: Dem Verräter Corfitz zu ewigem Spott, Schmach und Schande. Im Übrigen verurteilten die Dänen ihren ehemaligen Reichshofmeister in Abwesenheit zum Tode – köpfen und vierteilen – konfiszierten seine Güter, soweit sie noch etwas davon erwischten, und verbannten seine Kinder aus dem Land.

Allmählich fühlte Corfitz sich ziemlich verbittert. Er hegte immer noch Rachepläne und schickte Leonora nach England, um König Charles II. darum zu bitten, ihm ein größeres Darlehen zurückzuzahlen. Das war keine gute Idee. Dieser König befand sich in ständigen Finanzschwierigkeiten, weil seine Mätressen ihn ein Heidengeld kosteten. Er benahm sich zwar charmant Leonora gegenüber – Charles II. war jeder hübschen Frau gegenüber charmant – ließ sie jedoch, bevor sie seine Insel verlassen konnte, in Dover verhaften und an Dänemark ausliefern.

Die Königstochter wurde ab August 1663 im Blauen Turm in Kopenhagen eingesperrt – Kerker unter ziemlich schlimmen Bedingungen. Sie war 42 Jahre alt – ihre Haft sollte 22 Jahre dauern (ohne Prozess). Kaum in Dänemark angekommen, wurde ihr buchstäblich alles weggenommen, was sie bei sich hatte, einschließlich der Kleider. Ihre Erzfeindin Sophie-Amalie selbst suchte die Lumpen aus, in die sich Leonora ab jetzt kleiden durfte. 

Sie fand sich wochenlangen Verhören unterworfen, die sie geschickt parierte, immer loyal ihrem Mann gegenüber.

Der, zum Tode verurteilt und inzwischen schwerkrank, flüchtete weiter durch Europa und starb in einem Boot auf dem Rhein, 57 Jahre alt. Er gilt bis heute als schlimmster Verräter Dänemarks.

Leonora wurde im Turm das Vergnügen zuteil, seiner ‚Hinrichtung‘ beiwohnen zu dürfen: Man köpfte und zerteilte eine Strohpuppe, die mit verfaulten Därmen gefüllt und Corfitz Ulfeldt getauft worden war.

Offenbar hoffte man, Leonora würde den Verstand verlieren, denn man ließ sie in den ersten Jahren ohne jede Art der Beschäftigung.

Sie schrieb mit einer in den Ruß des Kerzenrauchs getauchten Hühnerfeder auf Zuckerpackungen und stickte Muster auf ihren Unterrock mit einer in der Zelle gefundenen Nadel, als Garn ihre aufgetrennten Strümpfe benutzend. Außerdem studierte sie das Ungeziefer um sich herum und schrieb Vermutungen über dessen Fortpflanzungen auf. Sie protokollierte Streitereien und Gespräche mit dem Gefängsnispersonal. Eine dieser Wärterinnen (im speziellen Dienst der Königin) benahm sich derart respektlos und aggressiv, dass Leonora ihr damit drohte, sie mit bloßen Händen zu erwürgen. Auf ähnliche Art musste sie mit dem Gefängsnisdirektor fertig werden, der nachts angetrunken auftauchte und zu Zärtlichkeiten aufgelegt war.

Ihr offenbar unzerstörbares Selbstbewusstsein, ein starker Glaube an Gott und die Erinnerung an bessere Zeiten halfen ihr, mit allem heil und gesund fertig zu werden.

Nach sieben Jahren, als Frederik III. starb – ihm folgte sein Sohn Christian V. auf den Thron – bekam Leonora etwas angenehmere Haftbedingungen. Sie durfte in eine geräumigere Zelle umziehen, die nicht so ratten- und ungezieferverseucht war und weniger stank, sie erhielt Schreibmaterial und Bücher. Allerdings sorgte Sophie Amalie dafür, dass sie im Turm bleiben musste. 

Leonora schrieb mehrere Bücher und viele Gedichte in ihren 22 Haftjahren. Zwei Biografien, eine in französischer und eine in dänischer Sprache: Jammers Minde, Erinnerungen an das Elend, und ein Werk mit den Skizzen berühmter Frauen der Geschichte oder Mythologie: HeldinnenZier, später als herausragendes literarisches Werk gelobt. Darin erklärt sie, dass die Geschlechter in Vielem ganz gleich seien und Frauen häufig mutiger als Männer. Tatsächlich wird Leonora Christina Ulfeldt gern ‚Dänemarks erste Feministin‘ genannt.

Ende Februar 1685 starb die Mutter des Königs, Sophie Amalie. Ende Mai desselben Jahres endlich wurde Leonora, im vierundsechzigsten Lebensjahr, aus der Haft entlassen. Sie erhielt eine Wohnung in einem ehemaligen Kloster und eine kleine Rente, sie durfte ihre drei noch lebenden Kinder treffen. Ihr jüngster Sohn Leo, den sie zuletzt als 12jährigen gesehen hatte, war inzwischen 40 Jahre alt.  

Leonora lebte noch dreizehn Jahre, ziemlich zurückgezogen, aber offenbar zufrieden und völlig unbeirrbar in der Loyalität zu ihrem verachteten Gatten. Inzwischen gilt sie als eine der größten Literatinnen Skandinaviens des 17. Jahrhunderts.

Glücksfaktor: Die Lebenszeit so gut es geht zu nutzen …


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